THOMAS MANN

Copyright 1947 by Thomas Mann
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DOKTOR FAUSTUS
Das Leben des deutschen Tonsetzers
Adrian Leverkühn
erzählt von einem Freunde


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XIII

Mit einigen Worten aber muß ich noch einer Lehrerfigur gedenken, die sich ihrer intrigierenden Zweideutigkeit wegen meinem Gedächtnis stärker eingeprägt hat als alle anderen. Es war der Privatdozent Eberhard Schleppfuß, der damals zwei Semester lang zu Halle die venia legendi ausübte, um dann allerdings, ich weiß nicht, wohin, wieder von der Bildfläche zu verschwinden. Schleppfuß war eine kaum mittelgroße, leibarme Erscheinung, gehüllt in einen schwarzen Umhang, dessen er sich statt eines Mantels bediente, und der am Halse mit einem Metallkettchen geschlossen war. Dazu trug er eine Art von Schlapphut mit seitlich gerollter Krempe, dessen Form sich dem Jesuitischen annäherte und den er, wenn wir Studenten ihn auf der Straße grüßten, sehr tief zu ziehen pflegte, wobei er »Ganz ergebener Diener!« sagte. Nach meiner Meinung schleppte er wirklich etwas den einen Fuß, doch wurde das bestritten, und auch ich konnte mich meiner Beobachtung nicht jedesmal, wenn ich ihn gehen sah, mit Bestimmtheit versichern, so daß ich nicht darauf bestehen und sie lieber einer unterschwelligen Suggestion durch seinen Namen zuschreiben will, — die Vermutung wurde durch den Charakter seines zweistündigen Kollegs gewissermaßen nahegelegt. Ich erinnere mich nicht genau, unter welchem Titel dasselbe im Vorlesungs-Index angezeigt war. Der Sache nach, die freilich etwas im Vagen schwebte, hätte es >Religionspsychologie< heißen können — hieß übrigens auch wohl wirklich so. Es war exklusiver Natur, auch keineswegs examenwichtig, und nur eine Handvoll intellektuell und mehr oder weniger revolutionär gerichteter

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Studenten, zehn oder zwölf, nahmen daran teil. Übrigens wunderte ich mich, daß es nicht mehr waren, denn Schleppfußens Produktion war anzüglich genug, um verbreitetere Neugier zu erwecken. Nur zeigte sich bei dieser Gelegenheit, daß auch das Pikante seine Popularität einbüßt, wenn es mit Geist verbunden ist.
Ich sagte ja schon, daß die Theologie ihrer Natur nach dazu neigt und unter bestimmten Umständen jederzeit dazu neigen muß, zur Dämonologie zu werden. Hierfür war Schleppfuß ein Beispiel, wenn auch eines sehr fortgeschrittener und intellektueller Art, da seine dämonische Welt- und Gottesauffassung psychologisch illuminiert war und dadurch dem modernen, wissenschaftlichen Sinn annehmbar, ja schmackhaft gemacht wurde. Dazu trug noch seine Vortragsweise bei, die ganz danach angetan war, gerade jungen Leuten zu imponieren. Er sprach völlig frei, distinkt, mühe- und pausenlos, druckfertig gesetzt, in leicht ironisch gefärbten Wendungen, — nicht vom Kathederstuhl aus, sondern irgendwo seitlich halb sitzend an ein Geländer gelehnt, die Spitzen der Finger bei gespreizten Daumen im Schöße verschränkt, wobei sein geteiltes Bärtchen sich auf und ab bewegte und zwischen ihm und dem spitz gedrehten Schnurrbärtchen seine splittrig-scharfen Zähne sichtbar wurden. Der biderbe Teufelsumgang Professor Kumpfs war ein Kinderspiel im Vergleich mit der psychologischen Wirklichkeit, die Schleppfuß dem Zerstörer, diesem personifizierten Abfall von Gott, verlieh. Denn er nahm, wenn ich mich so ausdrücken darf, dialektisch den Lästerungsaffront in das Göttliche, die Hölle ins Empyreum auf, erklärte das Verruchte für ein notwendiges und mitgeborenes Korrelat des Heiligen und dieses für eine beständige satanische Versuchung, eine fast unwiderstehliche Herausforderung zur Schändung.
Dies wies er nach an dem Seelenleben der klassischen Epoche religiöser Daseinsdurchwaltung, des christlichen Mittelalters und namentlich der Jahrhunderte seines Ausgangs, einer Zeit vollständiger Übereinstimmung also zwischen dem geistlichen Richter und dem Delinquenten, zwischen Inquisitor und Hexe 134 über die Tatsache des Verrates an Gott, des Teufelsbündnisses, der scheußlichen Gemeinschaft: mit den Dämonen. Der vom Sakrosankten ausgehende Lästerungsreiz war dabei das Wesentliche, er war die Sache selbst, und er tat sich kund etwa in der Bezeichnung, die die Abgefallenen der Heiligen Jungfrau gaben: »Die dicke Frau«, oder in außerordentlich gemeinen Zwischenbemerkungen, greulichen Unflätereien, die beim Meßopfer heimlich auszustoßen der Teufel sie anhielt, und die Dr. Schlepp fuß mit verschränkten Fingerspitzen wörtlich wiedergab, — ich versage mir dies aus Geschmacksgründen, mache ihm aber keinen Vorwurf daraus, daß er solche nicht gelten ließ, sondern der Wissenschaft die Ehre gab. Nur war es seltsam zu sehen, wie die Studenten dergleichen gewissenhaft in ihre Wachstuchhefte einzeichneten. Ihm zufolge war dies alles, war das Böse, war der Böse selbst ein notwendiger Ausfluß und ein unvermeidliches Zubehör der heiligen Existenz Gottes selbst; wie denn auch das Laster nicht aus sich selbst bestand, sondern seine Lust aus der Besudelung der Tugend zog, ohne welche es wurzellos gewesen wäre; anders gesagt: es bestand in dem Genuß der Freiheit, das heißt der Möglichkeit, zu sündigen, die dem Schöpfungsakt selbst inhärent war.
Hierin drückte sich eine gewisse logische Unvollkomfnenheit der Allmacht und Allgüte Gottes aus, denn was er nicht gekonnt hatte, war, der Kreatur, also dem, was er aus sich entließ, und was nun außer ihm war, die Unfähigkeit zur Sünde anzuschaffen. Dies hätte geheißen, dem Geschaffenen den freien Willen vorzuenthalten, sich von Gott abzukehren, — was eine unvollkommene Schöpfung, ja eigentlich überhaupt keine Schöpfung und Entäußerung Gottes gewesen wäre. Das logische Dilemma Gottes hatte darin bestanden, daß er außerstande gewesen war, dem Geschöpf, dem Menschen und den Engeln, zugleich die Selbständigkeit der Wahl, also freien Willen, und die Gabe zu verleihen, nicht sündigen zu können. Frömmigkeit und Tugend bestanden also darin, von der Freiheit, die Gott dem Geschöpf als solchem hatte gewähren müssen, einen guten Gebrauch, das heißt: keinen Gebrauch zu

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machen, — was nun freilich, wenn man Schleppfuß hörte, ein wenig so herauskam, als ob dieser Nicht-Gebrauch der Freiheit eine gewisse existenzielle Abschwächung, eine Minderung der Daseinsintensität der außergöttlichen Kreatur bedeutete.
Freiheit. Wie seltsam das Wort sich ausnahm in Schleppfußens Munde! Nun, gewiß, es hatte darin eine religiöse Betonung, er sprach als Theolog, und er sprach keineswegs wegwerfend davon, im Gegenteil, er zeigte ja die hohe Bedeutung auf, die bei Gott diesem Gedanken zukommen mußte, da er Menschen und Engel lieber der Sünde bloßgestellt hatte, als daß er ihnen die Freiheit vorenthalten hätte. Gut denn, Freiheit war das Gegenteil angeborener Sündlosigkeit, Freiheit hieß, nach eigenem Willen Gott die Treue wahren oder es mit den Dämonen treiben und beim Meßopfer Entsetzliches murmeln zu können. Das war eine Definition, an die Hand gegeben von der Rekgionspsychologie. Aber die Freiheit hat ja auch schon in anderer, vielleicht weniger spiritueller und doch des Enthusiasmus nicht barer Bedeutung im Leben der Erdenvölker und in den Kämpfen der Geschichte eine Rolle gespielt. Sie tut das auch eben jetzt, während ich diese Lebensbeschreibung verfasse, — in dem gegenwärtig tobenden Kriege und, wie ich in meiner Zurückgezogenheit glauben möchte, nicht zuletzt in der Seele und den Gedanken unseres deutschen Volkes, dem unter der Herrschaft kühnster Willkür vielleicht zum erstenmal in seinem Leben ein Begriff davon dämmert, was es mit der Freiheit auf sich hat. Nun, so weit waren wir damals noch nicht. Die Frage der Freiheit war, oder schien, zu unserer Studentenzeit nicht brennend, und Dr. Schleppfuß mochte dem Wort die Bedeutung geben, die ihm im Rahmen seines Kollegs zukam, andere aber beiseite lassen. Wenn ich nur den Eindruck gehabt hätte, daß er sie beiseite ließ und, rein vertieft in seine religionspsychologische Auffassung, ihrer uneingedenk war. Er war aber ihrer eingedenk, dieses Gefühls konnte ich mich nicht entschlagen, und seine theologische Bestimmung der Freiheit hatte eine apologetisch-polemische Spitze gegen »modernere«, das heißt: plattere und bloß gang und gäbe Ideen, die

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seine Zuhörer etwa damit verbinden mochten. Seht, schien er sagen zu wollen, wir haben das Wort auch, es steht uns zu Gebote, glaubt nicht, daß es nur in euerem Wörterbuch vorkommt, und daß euere Idee davon die einzig vernunftgegebene ist. Freiheit ist eine sehr große Sache, die Bedingung der Schöpfung, das, was Gott hinderte, uns gegen den Abfall von ihm zu feien. Freiheit ist die Freiheit zu sündigen, und Frömmigkeit besteht darin, von der Freiheit aus Liebe zu Gott, der sie geben mußte, keinen Gebrauch zu machen.
So kam es heraus, etwas tendenziös, etwas boshaft, wenn mich nicht alles täuschte. Kurzum, es irritierte mich. Ich liebe es nicht, wenn einer alles haben will, dem Gegner das Wort aus dem Munde nimmt, es umdreht und Begriffsverwirrung damit treibt. Das geschieht heute mit größter Kühnheit, und es ist die Hauptursache meiner Zurückgezogenheit. Gewisse Leute sollten nicht von Freiheit, Vernunft, Humanität sprechen, aus Reinlichkeitsgründen sollten sie es unterlassen. Aber gerade von Humanität sprach Schleppfuß auch — natürlich im Sinn der »klassischen Jahrhunderte des Glaubens«, auf deren Geistesverfassung er seine psychologischen Erörterungen gründete. Deutlich lag ihm daran, zu verstehen zu geben, daß Humanität keine Erfindung des freien Geistes sei, daß nicht ihm nur diese Idee zugehöre, daß es sie immer gegeben habe, und daß beispielsweise die Tätigkeit der Inquisition von rührendster Humanität beseelt gewesen sei. Ein Weib, erzählte er, war zu jener »klassischen« Zeit gefänglich angenommen, prozessiert und eingeäschert worden, die volle sechs Jahre Kundschaft mit einem Incubus gehabt hatte, sogar an der Seite ihres schlafenden Mannes, dreimal die Woche, vorzüglich aber zu heiligen Zeiten. Sie hatte dem Teufel dergestalt Promeß gemacht, daß sie nach sieben Jahren ihm mit Leib und Seele anheimgefallen wäre. Sie hatte aber Stern gehabt, denn noch gerade vor Ablauf der Frist ließ Gott in seiner Liebe sie in die Hände der Inquisition fallen, und schon unter leichten Graden der Befragung legte sie ein volles und ergreifend reuiges Geständnis ab, so daß sie höchstwahrscheinlich von Gott Verzeihung

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erlangte. Gar willig nämlich ging sie in den Tod, unter der ausdrücklichen Erklärung, daß, wenn sie auch loskommen könnte, sie doch ganz entschieden den Brandpfahl vorzöge, um nur der Macht des Dämons zu entgehen. So sehr war ihr das Leben durch die Unterworfenheit unter schmutzige Sünde zum Ekel geworden. Welche schöne Geschlossenheit der Kultur aber sprach aus diesem harmonischen Einvernehmen zwischen dem Richter und dem Delinquenten und welche warme Humanität aus der Genugtuung darüber, diese Seele noch im letzten Augenblick durch das Feuer dem Teufel entrissen und ihr die Verzeihung verschafft zu haben!
Dies führte Schleppfuß uns zu Gemüte und ließ uns bemerken — nicht nur, was Humanität auch sein könne, sondern was sie eigentlich sei. Ganz zwecklos wäre es gewesen, hier ein anderes Wort aus dem Vokabular des freien Geistes zu gebrauchen und von trostlosem Aberglauben zu sprechen. Schleppfuß verfügte auch über dieses Wort, im Namen der »klassischen« Jahrhunderte, denen es nichts weniger als unbekannt gewesen war. Ungereimtem Aberglauben war jenes Weib mit dem Incubus unterlegen und sonst niemand. Denn sie war abgefallen von Gott, abgefallen vom Glauben, und das war Aberglaube. Aberglaube hieß nicht: an Dämonen und Incubi glauben, sondern es hieß, pestbringenderweise sich mit ihnen einlassen und von ihnen erwarten, was nur von Gott zu erwarten ist. Aberglauben bedeutete Leichtgläubigkeit für die Einflüsterungen und Anstiftungen des Feindes des menschlichen Geschlechtes; der Begriff deckte alle Invokationen, Lieder und Beschwörungen, alle zauberischen Übertretungen, Laster und Verbrechen, das Flagellum haereticorum fascinariorum, die illusiones daemonum. So konnte man den Begriff >Aberglauben< bestimmen, so war er bestimmt worden, und es war doch interessant, wie der Mensch die Worte benutzen und wie er damit denken kann!
Natürlich spielte die dialektische Verbundenheit des Bösen mit dem Heiligen und Guten eine bedeutende Rolle in der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes angesichts des Vorhandenseins

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des Bösen in der Welt, die in Schleppfußens Kolleg einen breiten Raum einnahm. Das Böse trug bei zur Vollkommenheit des Universums, und ohne jenes wäre dieses nicht vollkommen gewesen, darum ließ Gott es zu, denn er war vollkommen und mußte darum das Vollkommene wollen, — nicht im Sinne des vollkommen Guten, sondern im Sinne der Allseitigkeit und der wechselseitigen Existenzverstärkung. Das Böse war weit böser, wenn es das Gute, das Gute weit schöner, wenn es das Böse gab, ja vielleicht — man konnte darüber streiten — wäre das Böse überhaupt nicht bös, wenn es das Gute, — das Gute überhaupt nicht gut, wenn es das Böse nicht gäbe. Augustinus war wenigstens so weit gegangen, zu sagen, die Funktion des Schlechten sei, das Gute deutlicher hervortreten zu lassen, das um so mehr gefalle und desto lobenswürdiger sei, wenn es mit dem Schlechten verglichen werde. Hier war freilich der Thomismus mit der Warnung eingeschritten, es sei gefährlich, zu glauben, Gott wolle, daß das Böse geschähe. Gott wolle das weder, noch wolle er, daß Böses nicht geschehe, sondern ohne Wollen und Nichtwollen erlaube er das Walten des Bösen, und das komme allerdings der Vollkommenheit zustatten. Aber Abirrung sei es, zu behaupten, Gott lasse das Böse zu um des Guten willen; denn nichts sei für gut zu erachten, außer, es entspreche der Idee >gut< durch sich selbst, nicht durch Akzidens. Immerhin, sagte Schleppfuß, werfe hier das Problem des absolut Guten und Schönen sich auf, des Guten und Schönen ohne Beziehung zum Bösen und Häßlichen, — das Problem der vergleichslosen Qualität. Wo der Vergleich entfalle, sagte er, entfalle der Maßstab, und weder von Schwerem noch Leichtem, weder von Großem noch Kleinem könne da die Rede sein. Das Gute und Schöne wäre dann entwest zu einem qualitätslosen Sein, das dem Nichtsein sehr ähnlich und diesem vielleicht nicht vorzuziehen sei.
Wir schrieben das in unsere Wachstuchhefte, damit wir es mehr oder weniger getrost nach Hause trügen. Die wahre Rechtfertigung Gottes in Ansehung des Schöpfungsjammers, so fügten wir nach Schleppfußens Diktat hinzu, bestehe in

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seinem Vermögen, aus dem Bösen das Gute hervorzubringen. Diese Eigenschaft verlange, zu Gottes Ruhm, durchaus nach Betätigung, und sie könne sich nicht offenbaren, wenn Gott nicht die Kreatur der Sünde Übermacht hätte. In diesem Fall wäre dem Universum jenes Gute vorenthalten worden, das Gott aus dem Bösen, aus Sünde, Leiden und Laster zu schaffen wisse, und weniger Anlaß also hätten die Engel zum Lobgesange gehabt. Nun entstehe freilich auch umgekehrt, wie die Geschichte fortwährend lehre, aus Gutem viel Böses, so daß Gott, um dieses zu vermeiden, auch das Gute verhindern müßte und überhaupt die Welt nicht sein lassen dürfte. Dies hätte jedoch seinem Wesen als Schöpfer widersprochen, und darum habe er die Welt, wie sie sei, nämlich mit Übel durchsetzt, erschaffen, das heißt sie zum Teil dämonischen Einflüssen überlassen müssen.
Niemals wurde ganz klar, ob es eigentlich Schleppfußens eigene Lehrmeinungen waren, die er uns vortrug, oder ob es ihm nur darum ging, uns mit der Psychologie der klassischen Jahrhunderte des Glaubens vertraut zu machen. Gewiß hätte er nicht Theolog sein dürfen, um sich nicht zu dieser Psychologie bis zum Einklänge sympathisch zu verhalten. Der Grund aber, weshalb ich mich wunderte, daß nicht mehr junge Leute von seiner Vorlesung angezogen wurden, war der, daß, wann nur immer von der Macht der Dämonen über das Menschenleben darin die Rede war, das Geschlechtliche eine hervorstechende Rolle spielte. *Wie hätte es auch anders sein können? Der dämonische Charakter dieser Sphäre war ein Hauptzubehör der »klassischen Psychologie«; für sie bildete dieses Gebiet den Vorzugstummelplatz der Dämonen, den gegebenen Ansatzpunkt für Gottes Gegenspieler, den Feind und Verderber. Denn größere Hexenmacht hatte ihm Gott zugestanden über den Beischlaf als sonst über jede menschliche Handlung: nicht nur wegen der äußeren Unflätigkeit dieser Verübung, sondern vor allem, weil die Verderbtheit des ersten Vaters als Erbsünde dabei auf das ganze Menschengeschlecht übergegangen war. Der Zeugungsakt, gekennzeichnet durch ästhetische Scheußlichkeit,

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war Ausdruck und Vehikel der Erbsünde, — was Wunder, daß dem Teufel besonders viel freie Hand dabei gelassen war? Nicht umsonst hatte der Engel zu Tobias gesagt: »Über die, welche der Lust ergeben sind, gewinnt der Dämon Gewalt.« Denn die Macht der Dämonen lag in den Lenden des Menschen, und diese waren gemeint dort, wo der Evangelist sagte: »Wenn ein starker Gewappneter seinen Palast bewacht, so bleibt das Seine in Frieden.« Das war selbstverständlich geschlechtlich zu deuten; geheimnisvollen Worten war immer solche Bedeutung abzuhören, und hellhörig hörte gerade die Frömmigkeit sie ihnen ab.
Erstaunlich war nur, als wie schwach sich gerade bei den Heiligen Gottes die Engelswacht allezeit erwiesen hatte, soweit wenigstens der »Friede« in Frage kam. Das Buch von den heiligen Vätern war voll von Berichten, daß, wenn sie auch aller fleischlichen Lust getrotzt hätten, sie doch mehr als glaublich von der Begierde nach Weibern versucht worden waren. »Mir ist gegeben der Stachel meines Fleisches, der Engel des Satans, der mich mit Fäusten schlage.« Das war so ein Geständnis, abgelegt den Korinthern, und wenn auch der Briefschreiber vielleicht etwas anderes damit gemeint hatte, die fallende Sucht oder dergleichen, — die Frömmigkeit jedenfalls deutete es nach ihrer Art, — mit Recht wahrscheinlich am Ende, da wohl ihr Instinkt nicht fehlging, wenn er die Anfechtung des Gehirns in dunkle Beziehung zum Dämon des Geschlechtes brachte. Die Versuchung nun freilich, der man widerstand, war keine Sünde, sondern eben nur eine Prüfung der Tugend. Und doch war die Grenze zwischen Versuchung und Sünde schwer zu bestimmen, denn war nicht jene bereits das Toben der Sünde in unserem Blut, und lag nicht im Zustande der Lüsternheit bereits viel Hingabe ans Böse? Hier wieder tat sich die dialektische Einheit von Gut und Böse hervor, denn Heiligkeit war ohne Versuchung gar nicht zu denken, und nach der Fürchterlichkeit der Versuchung bemaß sie sich, nach dem Sünden-Potential eines Menschen.
Von wem aber ging die Versuchung aus? Wer war zu verfluchen

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um ihretwillen? Man hatte leicht sagen, sie komme vom Teufel. Der war ihre Quelle, die Verwünschung jedoch galt dem Gegenstand. Der Gegenstand, das instrumentum des Versuchers, war das Weib. Sie war damit freilich auch das instrumentum der Heiligkeit, denn diese gab es nicht ohne tobende Sündenlust. Doch wußte man ihr dafür nur bitteren Dank. Vielmehr war es das Merkwürdige und tief Bezeichnende, daß, obgleich doch der Mensch in beiderlei Gestalt ein Geschlechtswesen war, und obgleich die Lokalisierung des Dämonischen in den Lenden eher auf den Mann paßte als auf das Weib, dennoch der ganze Fluch der Fleischlichkeit und der Geschlechtssklaverei dem Weibe zugewälzt wurde, so daß es zu dem Spruch hatte kommen können: »Ein schönes Weib ist wie ein goldner Reif in der Nase der Sau.« Wie vieles dergleichen war nicht, aus tiefem Gefühl, von alters über das Weib gesagt worden! Es galt aber der Begehrlichkeit des Fleisches im allgemeinen, die mit dem Weibe in eins zu setzen war, so daß auch die Fleischlichkeit des Mannes aufs Konto des Weibes kam. Daher das Wort: »Ich fand das Weib bitterer als den Tod, und selbst ein gutes Weib ist unterlegen der Begehrlichkeit des Fleisches.«
Man hätte fragen können: Der gute Mann etwa nicht? Und der heilige Mann etwa nicht ganz besonders? Ja, aber das war das Werk des Weibes, als welche die Repräsentantin sämtlicher Fleischlichkeit auf Erden war. Das Geschlecht war ihre Domäne, und wie hätte sie also, die femina hieß, was teils von fides, teils von minus, von minderem Glauben kam, nicht mit den unflätigen Geistern, die diesen Raum bevölkerten, auf schlimmvertrautem Fuße stehen, des Umgangs mit ihnen, der Hexerei, nicht ganz besonders verdächtig sein sollen? Ein Beispiel dafür war jenes Eheweib, das es in vertrauensvoll schlummernder Gegenwart ihres Mannes mit einem Incubus getrieben, und das jahrelang. Allerdings gab es nicht nur Incubi, sondern auch Succubi, und tatsächlich hatte ein verworfener Jüngling des klassischen Zeitalters mit einem Idol gelebt, dessen teuflische Eifersucht er am Ende erfahren sollte. Denn nach einigen

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Jahren hatte er, aus Nützlichkeitsgründen mehr denn aus wahrer Neigung, mit einem anständigen Weibe die Ehe geschlossen, war aber gehindert gewesen, sie zu erkennen, weil stets das Idol sich dazwischengelegt hatte. Darum hatte das Weib, in gerechter Verstimmung, ihn wieder verlassen, der sich denn zeit seines Lebens auf das unduldsame Idol beschränkt gesehen hatte.
Viel kennzeichnender aber, meinte Schleppfuß, für die psychologische Sachlage war die Beschränkung gewesen, der ein anderer Jüngling jener Epoche unterworfen war; denn ganz ohne eigenes Verschulden, durch weibliche Hexerei hatte sie ihn getroffen, und schlechthin tragisch war das Mittel gewesen, durch das er ihrer wieder ledig geworden war. Zur Erinnerung an die mit Adrian gemeinsam betriebenen Studien will ich die Geschichte, bei der Privatdozent Schleppfuß sehr geistvoll verweilte, in Kürze hier einschalten.
Zu Mersburg bei Konstanz lebte gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts ein ehrlicher Bursch, Heinz Klopfgeißel geheißen und Faßbinder seines Zeichens, von guter Gestalt und Gesundheit. Er stand in inniger Wechselneigung mit einem Mädchen, Bärbel, der einzigen Tochter eines verwitweten Glöckners, und wollte sie ehelichen, doch stieß des Pärchens Wunsch auf väterlichen Widerstand, denn Klöpfgeißel war ein armer Kerl, und der Glöckner forderte erst eine stattliche Lebensstellung von ihm, daß er Meister würde in seinem Gewerbe, bevor er ihm seine Tochter gäbe. Die Neigung der jungen Leute aber war stärker gewesen als ihre Geduld, und aus dem Pärchen war vor der Zeit schon ein Paar geworden. Denn nächtlich, wenn der Glöckner glöckeln gegangen war, stieg Klöpfgeißel ein bei Bärbel, und ihre Umarmungen ließen das eine dem andern als das herrlichste Wesen auf Erden erscheinen.
So standen die Dinge, als eines Tages der Faßbinder sich mit anderen munteren Gesellen nach Konstanz begab, wo Kirchweih war und wo sie einen guten Tag hatten, so daß sie am Abend der Haber stach und sie beschlossen, in eine Schlupfbude zu Weibern zu gehen. Nach Klöpfgeißels Sinn war es

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nicht, er wollte nicht mithalten. Aber die Burschen verhöhnten ihn als einen Zümpferling und setzten ihm zu mit ehrrührigen Spottreden, ob es am Ende mit ihm nicht das Rechte und er gar nicht auf dem Posten sei; und da er dies nicht ertrug, dazu auch des Starkbiers sowenig geschont hatte wie die anderen, so ließ er sich breitschlagen, sagte »Hoho, das weiß ich anders« und stieg mit der Bande ins Zatzenstift.
Hier begab es sich, daß er eine arge Beschämung erlitt, so, daß er nicht wußte, welch Gesicht zu sich selber machen. Denn wider alles Erwarten war es bei der Schlumpe, einem ungrischen Weibe, ganz und gar nichts Rechtes mit ihm, und ganz und gar nicht war er bei ihr auf dem Posten, worüber sein Ärger unmäßig war und auch sein Schrecken. Denn das Mensch lachte ihn nicht nur aus, sondern schüttelte auch bedenklich den Kopf und meinte, da müsse was stinken und nicht geheuer sein; ein Bursche von seinem Bau, dem's plötzlich nicht mehr gelänge, der sei des Teufels Märtyrer, dem müsse man es gekocht haben, — und was solcher Reden noch mehr waren. Er schenkte ihr viel, damit sie es seinen Kumpanen nicht sagte, und kehrte niedergeschlagen nach Hause zurück.
Sobald wie möglich, wenn auch nicht ohne Besorgnis, gab er sich mit seiner Bärbel ein Stelldichein, und während der Glöckner glöckelte, hatten sie miteinander die wohlgeratenste Stunde. So fand er seine Jungmannsehre wiederhergestellt und hätte vergnügt sein können. Denn außer der Ersten und Einen war ihm an keiner gelegen, und warum sollte ihm also an sich viel gelegen sein, außer bei ihr? Aber eine Unruhe war seit jenem Fehlschlag in seiner Seele zurückgeblieben, und es bohrte in ihm, daß er sich auf die Probe stelle und einmal, wenn auch dann niemals wieder, der Herzallerliebsten ein Schnippchen schlüge. Darum lugte er heimlich nach einer Gelegenheit aus, sich zu versuchen, sich und auch sie; denn er konnte kein Mißtrauen hegen gegen sich selbst, ohne daß es als leiser, zwar zärtlicher, aber banger Verdacht zurückgegangen wäre auf die, an der seine Seele hing.
Nun fügte es sich, daß er im Keller des Weinwirts, eines

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kränkelnden Wanstes, die gelockerten Reifen zweier Fässer an den Dauben festzuschlagen bestellt war, und des Wirtes Weib, ein noch rösches Frauenzimmer, mit hinabstieg und ihm bei der Arbeit zusah. Da streichelte sie ihm den Arm und legte den ihren daran zum Vergleich und machte ihm solche Mienen, daß er ihr unmöglich abschlagen konnte, was zu leisten sein Fleisch bei aller Willigkeit des Geistes dann doch gänzlich gehindert war, so daß er ihr sagen mußte, es tanzerte ihn nicht, und er habe es eilig, und gewiß komme gleich ihr Mann die Treppe herunter, und Fersengeld gab, indem er der verbittert Hohnlachenden schuldig blieb, was kein rüstiger Bursche schuldig bleibt.
Er war tief verwundet, irregemacht an sich selbst und nicht nur an sich; denn der Verdacht, der sich schon nach dem ersten Mißgeschick in seine Seele geschlichen, besaß ihn nun ganz, und daß er des Teufels Märtyrer sei, litt für ihn keinen Zweifel mehr. Darum, weil das Heil einer armen Seele und seines Fleisches Ehre dazu auf dem Spiele standen:, ging er zum Pfaffen und sagte ihm alles durchs Gitter ins Ohr: daß es mit ihm spuke, und daß er's nicht vermöchte, sondern gehindert sei, ausgenommen bei einer einzigen, und wie das zugehen möge, und ob die Religion gegen eine solche Unbilde nicht mütterliche Abhilfe wisse.
Nun war aber damals und dazulande die Pest des Hexenwesens nebst vielen einschlägigen Leichtfertigkeiten, Sünden und Lastern durch Anstiftung des Feindes des menschlichen Geschlechtes und zur Beleidigung göttlicher Majestät in arger Ausbreitung begriffen, und strenge Wachsamkeit war den Seelenhirten zur Pflicht gemacht worden.' Der Pfaffe, dem diese Kategorie des Unwesens, daß Männer an ihrer besten Kraft waren verzaubert worden, nur allzu bekannt* war,-.ging mit Klöpfgeißels Beichte an höhere Stellen, das Glöcknerskind wurde eingezogen, vernommen und gestand wahr und wahrhaftig, sie habe, in Herzensangst um die Treue des Jungen, damit er nicht anderweitig ihr möchte ausgespannt werden, bevor er vor Gott und den Menschen der Ihre geworden, von 145 einer Vettel, Badefrau von Gewerb, ein Specificum angenommen, eine Salbe, angeblich aus dem Fett eines ungetauft verstorbenen Kindes hergestellt, mit der sie, um sich seiner nur fest zu versichern, ihrem Heinz bei der Umarmung heimlich und in bestimmter Figur den Rücken gesalbt habe. Nun ward auch das Badeweib inquiriert, das zähe leugnete. Sie mußte der weltlichen Behörde überstellt werden mit der Anheimgabe von Befragungsmitteln, die der Kirche nicht anstanden; und unter einigem Druck kam denn an den Tag, was man hatte erwarten müssen: daß die Vettel in der Tat eine Abrede mit dem Teufel hatte, der ihr in Gestalt eines bocksfüßigen Mönches erschienen war und sie beredet hatte, die göttlichen Personen und den christlichen Glauben mit greulichen Schmähreden zu verleugnen, wogegen er sie mit Anweisungen zur Herstellung nicht nur jener Liebessalbe, sondern auch noch anderer Schand-Panazeen versehen hatte, darunter eines Fettes, mit dem bestrichen jedes Holz sich mit dem Adepten flugs in die Lüfte erhob. Die Umständlichkeiten, durch die der Böse seinen Pakt mit der Alten besiegelt hatte, kamen nur stückweise, unter wiederholtem Druck, zum Vorschein und waren haarsträubend.
Für die nur mittelbar Verführte hing alles nunmehr davon ab, wie weit ihr eigenes Seelenheil durch die Annahme und den Gebrauch des verworfenen Präparates in Mitleidenschaft gezogen war. Zum Unglück des Glöcknerkindes legte die Alte nieder, daß der Drache ihr aufgegeben hatte, recht viele Proselyten zu machen, denn für jedes Menschenkind, das sie ihm zuführe, indem sie es zum Gebrauch seiner Gaben verleite, wolle er sie gegen das ewige Feuer etwas fester machen, so daß sie nach fleißiger Zutreibe-Arbeit mit einem asbestenen Panzer gegen die Flammen der Hölle gewappnet sein werde. — Dies brach Bärbeln den Hals. Die Notwendigkeit, ihre Seele vor ewigem Verderben zu retten, sie durch Darangabe des Leibes den Klauen des Teufels zu entreißen, lag auf der Hand. Und da überdies, einreißender Verderbnis wegen, ein Exemplum zu statuieren bitter notwendig war, so wurden an benachbarten

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Pfählen auf öffentlichem Platze zwei Hexen eingeäschert, die alte und die junge. Heinz Klöpfgeißel, der Verzauberte, stand entblößten Hauptes und Gebete murmelnd in der Zuschauermenge. Die vom Rauche erstickten und heiser verfremdeten Schreie seiner Geliebten erschienen ihm als die Stimme des Dämons, der widerwillig krächzend aus ihr fuhr. Von Stund an war die ihm angetane schnöde Beschränkung behoben, denn nicht sobald war seine Liebe verkohlt, als ihm die sündlich entwendete freie Verfügung über seine Männlichkeit zurückgegeben war. —
Ich habe diese revoltierende Geschichte, so kennzeichnend für den Geist des Schleppfuß'schen Kollegs, niemals vergessen und mich niemals recht über sie beruhigen können. Es war damals unter uns, zwischen Adrian und mir sowohl, wie auch bei Diskussionen des >Winfried<-Cirkels vielfach davon die Rede; aber weder bei ihm, der sich in bezug auf seine Lehrer und das von ihnen Vorgetragene immer zurückhaltend und schweigsam verhielt, noch bei seinen Fakultätsgenossen gelang es mir, das Maß von Empörung aufzuregen, das meinem eigenen Ärger über die Anekdote und namentlich über Klöpfgeißel genuggetan hätte. Noch heute fahre ich ihn in meinen Gedanken schnaubend an und nenne ihn in vollstem Wortsinne einen Mordsesel. Was mußte sich der Tölpel beklagen? Was mußte er das Ding mit anderen Frauen üben, da er die eine hatte, die er liebte, so sehr offenbar, daß es ihn gegen andere kalt und »unvermögend« machte? Was hieß hier »Unvermögen«, wenn er bei der einen das Vermögen der Liebe besaß? Die ist gewiß eine Art von edler Verwöhnung des Geschlechtlichen, und wenn es nicht natürlich ist, daß dieses die Betätigung ablehnt bei Absenz der Liebe, so ist es doch nichts weniger als unnatürlich, daß es das tut in Gegenwart und im Angesicht der Liebe. Allerdings hatte das Bärbel ihren Heinz fixiert und »beschränkt«, aber nicht durch das Teufelsarkanum, sondern durch ihren Liebreiz und durch den bannenden Willen, mit dem sie ihn hielt und ihn gegen andere Versuchungen feite. Daß dieser Schutz in seiner Kraft, seinem Einfluß auf die Natur

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des Burschen durch die Zaubersalbe und den Glauben des Mädchens daran psychologisch verstärkt wurde, bin ich bereit, zu akzeptieren, obgleich es mir viel richtiger und einfacher scheint, die Sache von seiner Seite aus zu betrachten und die wählerische Verfassung, in die' ihn die Liebe versetzt, für die Gehemmtheit verantwortlich zu machen, an der er so törichten Anstoß nahm. Aber auch dieser Gesichtspunkt schließt ja die Anerkennung einer gewissen natürlichen Wunderkraft des Seelischen ein, seiner Fähigkeit, auf das Organisch-Körperliche bestimmend und verändernd einzuwirken, — und diese sozusagen magische Seite der Sache war es denn selbstverständlich auch, die Schleppfuß bei seinen Kommentaren zum Falle Klöpfgeißel geflissentlich hervorhob.
Er tat es in einem quasi-humanistischen Sinn, um die hohe Idee herauszustreichen, die jene angeblich finsteren Jahrhunderte von der erlesenen Kondition des menschlichen Leibes gehegt hätten. Für edler hätten sie ihn erachtet als alle anderen irdischen Stoffverbindungen, und in seiner Wandelbarkeit durch das Seelische hätten sie den Ausdruck seiner Vornehmheit, seines hohen Ranges in der Körper-Hierarchie erblickt. Er erkaltete und erhitzte sich vermöge der Furcht und des Zornes, er magerte ab vor Gram, erblühte vor Freude, bloßer Gedankenekel konnte die physiologische Wirkung verdorbener Speise hervorbringen, der Anblick eines Tellers mit Erdbeeren die Haut des Allergikers mit Pusteln bedecken, ja Krankheit und Tod konnten die Folge rein seelischer Einwirkungen sein. Von der Einsicht jedoch in das Vermögen der Seele, die eigene, ihr zugehörige Körpermaterie zu verändern, war es nur ein Schritt, und ein notwendiger, zu der durch reiche Erfahrungen der Menschheit gestützten Überzeugung, daß auch eine fremde Seele, wissentlich-willentlich, also durch Zauber, die fremde Körpersubstanz zu alterieren vermöge; mit anderen Worten: die Realität der Magie, des dämonischen Einflusses und der Verhexung war damit erhärtet, und dem Bereich des sogenannten Aberglaubens entrissen waren Erscheinungen wie etwa die des bösen Blicks, ein Erfahrungskomplex, konzentriert

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in der Sage vom tötenden Auge des Basilisken. Sträfliche Inhumanität wäre es gewesen, zu leugnen, daß eine unreine Seele durch den bloßen Blick, sei es willentlich oder auch unwillkürlich, körperlich schädigende Wirkungen an anderen hervorbringen könne, an kleinen Kindern zumal, deren zarte Substanz für das Gift eines solchen Auges besonders anfällig war.
So Schleppfuß in seinem exklusiven Kolleg — exklusiv durch Geist und Bedenklichkeit. »Bedenklich« ist ein vortreffliches Wort; ich habe ihm immer viel philologische Schätzung entgegengebracht. Es fordert zugleich zum Eingehen und zum Vermeiden auf, jedenfalls also zu einem sehr vorsichtigen Eingehen, und steht im Doppellicht des Bedenke a~ verten und der Anrüchigkeit einer Sache — und eines Menschen.
Wir legten in unseren Gruß, wenn wir Schleppfußen auf der Straße oder auf den Korridoren der Universität begegneten, die ganze Achtung, welche das hohe intellektuelle Niveau seiner Vorlesung uns Stunde für Stunde einflößte, aber noch tiefer als wir zog er dagegen den Hut und sagte: »Ihr ganz ergebener Diener!«



XIV

Zahlenmystik ist nicht meine Sache, und immer nur mit Beklemmung habe ich diese Neigung an Adrian, bei dem sie sich von jeher still, aber deutlich hervortat, wahrgenommen. Daß aber auf das vorige Kapitel gerade die allgemein mit Scheu betrachtete und für unheilvoll geltende Ziffer XIII gefallen ist, hat denn doch meinen unwillkürlichen Beifall, und fast bin ich versucht, es für mehr als Zufall zu halten. Um einen Zufall allerdings handelt es sich, vernünftig gesprochen, dennoch, und zwar weil im Grunde dieser ganze Komplex von Hallenser Universitätserfahrungen, so gut wie weiter oben die Vorträge Kretzschmars, eine natürliche Einheit bildet, und weil ich nur aus Rücksicht auf den Leser, welcher immer nach Ruhepunkten,

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Zäsuren und Neubeginn ausschaut, in mehrere Kapitel aufgeteilt habe, was nach meiner, des Schriftstellers, wahrer Gewissensmeinung auf solche Gliederung gar keinen Anspruch hat. Ginge es also nach mir, so befänden wir uns immer noch im Kapitel XI, und nur meine Neigung zum Zugeständnis hat dem Doktor Schleppfuß die Ziffer XIII verschafft. Ich gönne sie ihm, — ja, mehr noch, ich hätte dieser ganzen Erinnerungsmasse an unsere Hallenser Studienjahre die Ziffer XIII gegönnt, denn ich sagte ja gleich, daß mir die Luft dieser Stadt, die theologische Luft, nicht wohltat, und daß meine hospitierende Teilnahme an Adrians Studium ein Opfer war, das ich, unter mancherlei Mißgefühlen, unserer Freundschaft brachte.

Unserer? Ich sage besser: der meinen; denn er bestand ja durchaus nicht darauf, daß ich mich neben ihm hielt, wenn er Kumpf oder Schleppfuß hörte, ja, daß ich darüber wohl gar Vorlesungen meines eigenen Programms versäumte. Ich tat es aus vollkommen freien Stücken, nur aus dem unabweislichen Wunsche, zu hören, was er hörte, zu wissen, was er aufnahm, kurz: auf ihn achtzuhaben, — denn das erschien mir immer höchst notwendig, wenn auch zwecklos. Eine eigentümlich schmerzliche Bewußtseinsmischung, die ich da ausdrücke: von Dringlichkeit und Zwecklosigkeit. Ich war mir klar darüber, ein Leben vor mir zu haben, das man wohl überwachen, aber nicht ändern, nicht beeinflussen konnte, und mein Drang, ein unverwandtes Auge darauf zu haben, dem Freunde nicht von der Seite zu gehen, hatte viel von der Vorahnung, daß es mir eines Tages zur Aufgabe werden würde, von den Eindrücken seiner Jugend biographische Rechenschaft abzulegen. Denn soviel ist ja wohl klar, daß ich mich über die obigen Dinge nicht hauptsächlich deshalb verbreitet habe, um zu erklären, warum mir in Halle nicht sonderlich wohl war, sondern aus demselben Grunde, weshalb ich über Wendell Kretzschmars Kaisersascherner Vorträge so ausführlich war: nämlich weil mir daran liegt und liegen muß, den Leser zum Zeugen von Adrians geistigen Erfahrungen zu machen.
Aus demselben Grunde will ich ihn einladen, uns junge

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Musensöhne auf den gemeinsamen Wanderungen zu begleiten, die wir bei besserer Jahreszeit von Halle aus wohl unternahmen. Denn als Adrians Landsmann und Intimus, und weil ich ja, obgleich Nicht-Theolog, ein entschiedenes Interesse an der Gottesgelehrsamkeit zu bekunden schien, war ich ein freundlich aufgenommener Gast in der Corona der christlichen Verbindung >Winfried< und durfte mich wiederholt an diesen gruppenweise unternommenen, dem Genüsse von Gottes grüner Schöpfung gewidmeten Landfahrten beteiligen.
Sie fanden öfter statt, als wir beide dabei mithielten; denn ich brauche kaum zu sagen, daß Adrian kein sehr eifriger Vereinsbruder war und seine Mitgliedschaft mehr markierte, als daß er sie pünktlich ausgeübt hätte und darin aufgegangen wäre. Aus Höflichkeit und um seinen guten Willen zur Eingliederung zu beweisen, hatte er sich für die >Winfried< gewinnen lassen, blieb aber unter verschiedenen Vorwänden, meistens unter Berufung auf seine Migräne, mehr als ein um das andere Mal von den Zusammenkünften weg, die die Stelle der Kneipen vertraten, und war noch nach Jahr und Tag mit dem siebzig Köpfe zählenden Verbindungsvolk so wenig auf den frere-et-cochon-Fuß gekommen, daß selbst das brüderliche Du im Verkehr mit ihnen ihm deutlich unnatürlich war und er sich öfters dabei versprach. Trotzdem war er angesehen unter ihnen, und das Hallo, das ihm entgegenscholl, wenn er sich, man muß fast schon sagen: ausnahmsweise, zu einer Sitzung in dem verräucherten Separatzimmer von Mütze's Gastlokal einfand, enthielt zwar einigen Spott über seine Einzelgängerei, war dabei aber aufrichtig froh gemeint. Denn man schätzte seine Teilnahme an den theologisch-philosophischen Debatten, denen er, ohne sie etwa zu führen, durch seine Einwürfe oft eine interessante Wendung gab, besonders aber seine Musikalität, die sehr hilfreich war, da er die obligaten Rundgesänge volltöniger und animierender als andere, die sich darin versuchten, am Klavier zu begleiten wußte und die Versammlung auch, aufgefordert dazu vom Ersten Chargierten, Baworinski, einem Langen, Brünetten, dessen Blick meist sanft

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von den Lidern bedeckt und dessen Mund wie zum Pfeifen zusammengezogen war, mit Solo-Vorträgen, einer Toccata von Bach, einem Satz Beethoven oder Schumann erfreute. Aber auch ungeheißen setzte er sich manches Mal an das dumpfklingende Piano des Vereinszimmers, das stark an das unzulängliche Instrument erinnerte, an dem Wendell Kretzschmar im Saal der >Gemeinnützigen< uns seine Belehrungen erteilt hatte, und vertiefte sich in ein freies, experimentierendes Spiel, — namentlich vor Eröffnung der Sitzung, während man noch auf das Vollzähligwerden des Kreises wartete. Er hatte dabei eine mir unvergeßliche Art hereinzukommen, flüchtig zu grüßen und, zuweilen ohne auch nur abgelegt zu haben, mit nachdenklich verzogener Miene gerade auf das Klavier zuzugehen, als sei dieses das eigentliche Ziel seines Weges hierher gewesen, und stark anschlagend, Übergangstöne mit hochgezogenenBrauen hervorhebend, Klangverbindungen, Vorbereitungen und Auflösungen zu versuchen, die er unterwegs erwogen haben mochte. Es hatte aber dieses Losgehen auf das Klavier auch etwas nach Halt und Unterkunft Verlangendes, als ängstigten ihn der Raum und die ihn belebten, und als suche er Zuflucht dort, bei sich selbst also eigentlich, vor einer verwirrenden Fremde, in die er geraten.
Spielte er dann fort, einem fixen Gedanken nachhängend, ihn wandelnd und lose formend, so fragte wohl einer von denen, die ihn umstanden, der kleine Probst, vom Kandidatentyp, blond, mit halblangem öligem Haar:
»Was ist das?«
»Nichts«, antwortete der Spielende mit kurzem Kopfschütteln, das mehr der Bewegung glich, mit der man eine Fliege abwehrt.
»Wie kann es nichts sein«, fragte jener zurück, »da du es ja spielst?«
»Er phantasiert«, erläuterte der lange Baworinski verständig.
»Er phantasiert?!« rief Probst aufrichtig erschrocken und spähte mit seinen wasserblauen Augen von der Seite nach Adrians Stirn, als ob er erwartete, sie in Fieberhitze zu finden.

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Alles brach in Lachen aus; auch Adrian tat es, indem er die geschlossenen Hände auf der Klaviatur liegen ließ und den Kopf darüber beugte.
»O Probst, was für ein Schaf bist du!« sagte Baworinski. »Er improvisierte da, verstehst du das nicht? Er hat sich das momentan so ausgedacht.«
»Wie kann er sich so viele Töne rechts und links auf einmal ausdenken«, verteidigte sich Probst, »und wie kann er sagen, es ist nichts, von etwas, was er doch spielt? Man kann doch nicht spielen, was es nicht gibt?«
»O doch«, sagte Baworinski sanft. »Man kann auch spielen, was noch nicht existiert.«
Und ich habe es noch im Ohr, wie ein gewisser Deutschlin, Konrad Deutschlin, ein. Stämmiger, mit Stirnsträhne, hinzufügte:
»Es ist alles einmal nichts gewesen, guter Probst, was dann etwas geworden ist.« »Ich kann Sie . . . ich kann euch versichern«, sagte Adrian, »daß es wirklich nichts war, in jedem Sinn.«
Er mußte sich nun aufrichten aus seiner vom Lachen gebeugten Haltung, wobei man seinem Gesicht ansah, daß es ihm nicht leicht wurde und er sich bloßgestellt fühlte. Ich erinnere mich aber, daß eine längere, und keineswegs uninteressante, hauptsächlich von Deutschlin geführte Diskussion über das Creative sich daranschloß, wobei die Einschränkungen erörtert wurden, die dieser Begriff durch vielerlei Vorgegebenes» durch Kultur, Überlieferung, Nachfolge, Konvention, Schablone zu erdulden hat, nicht ohne daß das Menschlich-Schöpferische denn endlich doch als ein ferner Abglanz göttlicher Seinsgewalt, als ein Widerhall des allmächtigen Werderufs, und die produktive Eingebung allerdings als von oben kommend theologisch anerkannt wurde. —
Übrigens, und völlig nebenbei gesagt, war es mir angenehm, daß auch ich, der Zugelassene von profaner Fakultät, durch mein Viola d'amore-Spiel gelegentlich, wenn man mich dazu aufforderte, zur Unterhaltung beitragen konnte. Die Musik

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nämlich galt viel in diesem Kreise, wenn auch nur auf eine gewisse, zugleich prinzipielle und verschwommene Weise: man sah eine Gotteskunst in ihr und hatte >ein Verhältnis< zu ihr zu haben, ein romantisch-andächtiges, wie zur Natur, — Musik, Natur und fröhliche Andacht, das waren nahe verwandte und vorschriftsmäßige Ideen im Winfried-Verein, und wenn ich von »Musensöhnen« sprach, so findet dies Wort, das manchem vielleicht auf Theologie-Studenten nicht passen zu wollen scheint, eben doch seine Rechtfertigung in dieser Gesinnungskombination, in dem Geiste frommer Ungebundenheit und helläugiger Anschauung des Schönen, von dem auch jene Naturfahrten, auf die ich nun zurückkomme, bestimmt waren.
Zwei- oder dreimal im Lauf unserer vier Hallenser Semester wurden sie in corpore unternommen, so nämlich, daß Baworinski alle siebzig Mann dazu aufrief. An diesen MassenUnternehmungen haben Adrian und ich uns nie beteiligt. Aber auch einzelne, untereinander vertrautere Gruppen schlössen sich zu solchen Wanderungen zusammen, und so, im Verein mit ein paar besseren Gesellen, machten wir beide uns wiederholt dazu auf. Es waren der Erste Chargierte selbst, ferner der stämmige Deutschlin, dann ein gewisser Düngersheim, ein Carl von Teutleben und noch ein paar junge Leute, die Hubmeyer, Matthäus Arzt und Schappeler hießen. An diese Namen erinnere ich mich und ungefähr auch an die Physiognomien ihrer Träger, die hier zu beschreiben sich aber erübrigt.
Die nächste Umgebung von Halle, eine sandige Ebene, ist als landschaftlich reizlos preiszugeben, aber in wenig Stunden trägt einen der Zug saaleaufwärts ins liebliche Thüringerland, und dort, meist schon in Naumburg oder Apolda (der Geburtsgegend von Adrians Mutter), verließen wir die Eisenbahn und setzten die Reise mit unseren Rucksäcken und Regenkapuzen, recht als freie Burschen, auf Schusters Rappen fort, in tagelangen Märschen, auf denen wir unsere Mahlzeiten in Dorf-Wirtshäusern, oft auch auf flacher Erde, am Rand eines Gehölzes gelagert, einnahmen und manche Nacht im Scheunenstroh eines Bauernhofes verbrachten, um bei Tagesgrauen unsere Morgen

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Reinigung und -Erfrischung am langen Trog eines laufenden Brunnens vorzunehmen. Solche interimistische Lebensform, das hospitierende Einkehren von Städtern und geistig Bestrebten im Ländlich-Primitiven, bei Mutter Erde, in der Gewißheit ja doch, sehr bald wieder daraus in die gewohnte und >natürliche< Sphäre bürgerlicher Bequemlichkeit zurückkehren zu müssen oder zu — dürfen: solche freiwillige Zurückschraubung und Vereinfachung hat leicht, ja fast notwendig einen Anflug von Künstlichkeit, Gönnerhaftigkeit, Dilettantismus, Komik, der unserem Bewußtsein keineswegs ganz fremd war, und auf den denn wohl auch das gutmütig spöttische Schmunzeln sich bezog, womit mancher Bauer, den wir um Schlafstroh angingen, uns musterte. Was diesem Schmunzeln einiges Wohlwollen, ja Zustimmung verlieh, war unsere Jugend; und man kann ja sagen, daß Jugend die einzig legitime Brücke zwischen dem Bürgerlichen und dem Natürlichen ist, ein vorbürgerlicher Zustand, aus dem alle Studenten- und Burschenromantik sich ableitet, das eigentlich romantische Lebensalter. Auf diese Formel brachte der im Gedanklichen immer energische Deutschlin die Sache, als wir uns in einem Scheunengespräch vor Einschlafen, im matten Licht einer Stallaterne, die in einer Ecke unseres Nachtquartiers brannte, über die Problematik unseres derzeitigen Lebens ergingen, indem er allerdings hinzufügte, es sei höchst geschmacklos, wenn Jugend die Jugend erörtere: Eine Lebensform, die sich selber bespräche und untersuche, löse eben damit als Form sich auf, und wahre Existenz habe nur das direkt und unbewußt Seiende.
Dem wurde nun widersprochen; Hubmeyer und Schappeler widersprachen dem, und auch Teutleben war nicht einverstanden. Es wäre doch noch schöner, meinten sie, wenn immer nur das Alter die Jugend beurteilen und diese immer nur Gegenstand fremder Betrachtung sein dürfe, als ob sie nicht teilhabe am objektiven Geist. Sie habe aber teil daran, auch sofern es sich um sie selber handle, und müsse mitreden dürfen als Jugend über die Jugend. Es gäbe doch etwas, was man Lebensgefühl nenne, und was dem Selbstbewußtsein gleichkomme,

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und wenn schon dadurch die Lebensform aufgehoben würde, dann wäre überhaupt kein beseeltes Leben möglich. Mit dem bloßen Sein in Dumpfheit und Unbewußtheit, dem Ichthyosaurus-Dasein, sei gar nichts getan, und heutzutage müsse man in Bewußtheit seinen Mann stehen und mit artikuliertem Selbstgefühl seine spezifische Lebensform behaupten — lange genug habe es gedauert, bis die Jugend als eine solche anerkannt worden sei.
»Die Anerkenntnis ist aber mehr von der Pädagogik, das heißt von den Alten ausgegangen«, hörte man Adrian sagen, »als von der Jugend selbst. Die fand sich eines Tages von einer Zeit, die ja auch vom Jahrhundert des Kindes spricht und die Frauenemanzipation erfunden hat, einer überhaupt sehr nachgiebigen Zeit, beschenkt mit dem Prädikat der selbständigen Lebensform und stimmte natürlich eifrig zu.«
»Nein, Leverkühn«, sagten Hubmeyer und Schappeler, und die anderen unterstützten sie, — da habe er unrecht, wenigstens zum großen Teile unrecht. Es sei das Lebenägefühl der Jugend selbst gewesen, das sich mit Hilfe der Bewußtwerdung durchgesetzt habe gegen die Welt, wenn diese auch zur Anerkennung nicht ganz ungestimmt gewesen sei.
»Nicht im mindesten«, sagte Adrian. — Gar nicht ungestimmt. Dieser Zeit brauchte man wohl nur zu sagen: »Ich habe ein spezifisches Lebensgefühl«, so mache sie gleich eine tiefe Verbeugung davor. Die Jugend habe da sozusagen in Butter geschnitten. Übrigens sei nichts dagegen zu sagen, wenn die Jugend und ihre Zeit einander verständen.
»Warum so kaltschnäuzig, Leverkühn? Findest du es nicht gut, daß heute der Jugend ihr Recht wird in der bürgerlichen Gesellschaft, und daß man die Eigenwürde der Entwicklungszeit anerkennt?«
»O doch«, sagte Adrian. »Aber Sie gingen aus, ihr gingt aus, wir gingen aus von dem Gedanken .. .«
Er wurde von Gelächter unterbrochen, seines Versprechens wegen. Ich glaube, es war Matthäus Arzt, der sagte:
»Das war echt, Leverkühn. Die Steigerung war gut. Erst sagst

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du >Sie< zu uns, dann bringst du ein >ihr< zustande, und ganz zuletzt kommt das >wir<, daran zerbrichst du dir fast die Zunge, das gewinnst du dir am allerschwersten ab, du hartgesottener Individualist.«
Den Namen wollte Adrian nicht annehmen. Das sei ganz falsch, sagte er, er sei gar kein Individualist, er bejahe durchaus die Gemeinschaft.
»Theoretisch vielleicht«, erwiderte Arzt, »mit Ausschluß Adrian Leverkühns, von oben herab.« Über die Jugend spreche er auch von oben herab, so als ob er nicht dazu gehöre, und sei ganz unfähig, sich einzuschließen und einzufügen, denn was die Demut betreffe, von der wisse er nun wohl freilich nicht allzuviel.
Es sei doch hier nicht die Rede von Demut gewesen, parierte Adrian, sondern im Gegenteil von selbstbewußtem Lebensgefühl. Und Deutschlin stellte den Antrag, daß man Leverkühn zu Ende reden lassen solle.
»Es war weiter nichts«, sagte dieser. »Man ging hier von dem Gedanken aus, daß die Jugend ein näheres Verhältnis zur Natur habe als der bürgerlich ausgereifte Mensch, — also etwa wie die Frau, der man ja auch, im Vergleich mit dem Mann, eine größere Naturnähe nachsagt. Ich kann da aber nicht folgen. Ich finde nicht, daß die Jugend mit der Natur auf besonders vertrautem Fuße steht. Viel eher verhält sie sich scheu und spröde zu ihr, eigentlich fremd. An sein natürliches Teil gewöhnt sich der Mensch erst mit den Jahren und beruhigt sich langsam darüber. Gerade die Jugend, ich meine die höher geartete Jugend, erschrickt vielmehr davor, verachtet es, stellt sich feindselig dazu. Was heißt Natur? Wald und Wiese? Berge, Bäume und See, landschaftliche Schönheit? Dafür hat meiner Meinung nach die Jugend viel weniger Blick als der ältere, beruhigte Mensch. Der junge ist zum Sehen und zum Naturgenuß gar nicht sehr aufgelegt. Er ist nach innen gerichtet, geistig gestimmt, dem Sinnlichen abgeneigt, meiner Meinung nach.«
»Quod demonstramus«, sagte jemand, möglicherweise Dungersheim, »wir Wanderer hier im Stroh, die wir morgen den Thüringer Wald hinaufziehen wollen, nach Eisenach und zur Wartburg.«
»>Meiner Meinung nach«, sagst du immer«, warf ein anderer ein. »Du willst wohl sagen: >meiner Erfahrung nach<
»Ihr werft mir vor«, versetzte Adrian, »ich spräche über die Jugend von oben herab und schlösse mich nicht ein. Nun auf einmal soll ich mich ihr substituiert haben.«
»Leverkühn«, sagte Deutschlin darauf, »hat über die Jugend seine eigenen Gedanken, aber als eine spezifische Lebensform, die als solche respektiert werden muß, betrachtet er sie offenbar auch, und das ist das Entscheidende. Gegen die Selbsterörterung der Jugend sprach ich nur, insofern als sie die Unmittelbarkeit des Lebens zersetzt. Als Selbstbewußtsein verstärkt sie die Existenz aber auch, und in diesem Sinn, das heißt also in diesem Maß, heiße ich sie gut. Der Jugendgedanke ist ein Vorrecht und Vorzug unseres Volkes, des deutschen, — die andern kennen ihn kaum, Jugend als Selbstsirin ist ihnen so gut wie unbekannt, sie wundern sich über das wesensbetonte und von den höheren Altersklassen gebilligte Gebaren der deutschen Jugend und selbst über ihr unbürgerliches Kostüm. Mögen sie nur. Die deutsche Jugend repräsentiert, eben als Jugend, den Volksgeist selbst, den deutschen Geist, der jung ist und zukunftsvoll, — unreif, wenn man will, aber was will das besagen! Die deutschen Taten geschahen immer aus einer gewissen gewaltigen Unreife, und nicht umsonst sind wir das Volk der Reformation. Die war ein Werk der Unreife doch auch. Reif war der florentinische Renaissance-Bürger, der vorm Kirchgang zu seiner Frau sagte: >Also, machen wir dem populären Irrtum unsere Reverenz!< Aber Luther war unreif genug, Volk genug, deutsches Volk genug, den neuen, gereinigten Glauben zu bringen. Wo bliebe die Welt auch, wenn Reife das letzte Wort wäre! Wir werden ihr in unserer Unreife noch manche Erneuerung, manche Revolution bescheren.«
Nach diesen Worten Deutschlins schwieg man eine Weile. Offenbar bewegte man im Dunkeln bei sich das Gefühl der

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persönlichen und nationalen Jugendlichkeit, die in ein Pathos verschmolzen. Das Wort von der »gewaltigen Unreife« hatte sicher viel Schmeichelhaftes für die meisten.
»Wenn ich nur wüßte«, höre ich Adrian, die Pause beendend, sagen, »wieso wir eigentlich gar so unreif sind, so jung, wie du sagst, ich meine als Volk. Wir sind doch schließlich so weither wie die anderen, und vielleicht spiegelt nur unsere Geschichte, daß wir ein bißchen verspätet zusammenfanden und ein gemeinsames Selbstbewußtsein ausbildeten, uns eine besondere Jugendlichkeit vor.«
»Es ist doch wohl anders«, versetzte Deutschlin. »Jugend im höchsten Sinn hat nichts mit politischer Geschichte, überhaupt nichts mit Geschichte zu tun. Sie ist eine metaphysische Gabe, etwas Essentielles, eine Struktur und Bestimmung. Hast du nie vom deutschen Werden gehört, von deutscher Wanderschaft, vom unendlichen Unterwegssein des deutschen Wesens? Wenn du willst, ist der Deutsche der ewige Student, der ewig Strebende unter den Völkern ...«
»Und seine Revolutionen«, schaltete Adrian kurz auf lachend ein, »sind der Budenzauber der Weltgeschichte.«
»Sehr geistreich, Leverkühn. Aber mich wundert doch, daß dein Protestantismus dir erlaubt, so witzig zu sein. Man kann es notfalls auch ernster nehmen, was ich Jugend nenne. Jung sein heißt ursprünglich sein, heißt den Quellen des Lebens nahe geblieben sein, heißt aufstehen und die Fesseln einer überlebten Zivilisation abschütteln können, wagen, wozu anderen die Lebenscourage fehlt, nämlich wieder unterzutauchen im Elementaren. Jugendmut, das ist der Geist des Stirb und Werde, das Wissen um Tod und Wiedergeburt.«
»Ist das so deutsch?« fragte Adrian. »Wiedergeburt hieß einmal rinascimento und ging in Italien vor sich. Und >Zurück zur Natur«, das wurde zuerst auf französisch empfohlen.«
»Das eine war eine Bildungserneuerung«, erwiderte Deutschlin, »das andere ein sentimentales Schäferspiel.«
»Aus dem Schäferspiel«, beharrte Adrian, »kam die Französische Revolution, und Luthers Reformation war nur ein

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Ableger und ethischer Seitenweg der Renaissance, ihre Anwendung aufs Religiöse.«
»Aufs Religiöse, da sagst du es. Und das Religiöse ist allerwege etwas anderes als archäologische Auffrischung und kritischer Gesellschaftsumsturz. Religiosität, das ist vielleicht die Jugend selbst, es ist die Unmittelbarkeit, der Mut und die Tiefe des personalen Lebens, der Wille und das Vermögen, die Naturhaftigkeit und das Dämonische des Daseins, wie es uns durch Kierkegaard wieder zum Bewußtsein gekommen ist, in voller Vitalität zu erfahren und zu durchleben.«
»Hältst du Religiosität für eine auszeichnend deutsche Gabe?« fragte Adrian.
»In dem Sinne, den ich ihr gab, als seelische Jugend, als Spontaneität, als Lebensgläubigkeit und Dürer'sches Reiten zwischen Tod und Teufel — allerdings.«
»Und Frankreich, das Land der Kathedralen, dessen König der Allerchristlichste hieß, und das Theologen wie Bossuet, wie Pascal hervorgebracht hat?«
»Das ist lange her. Seit Jahrhunderten ist Frankreich von der Geschichte zur antichristlichen Sendungsmacht in Europa ausersehen. Von Deutschland gilt das Gegenteil, das würdest du fühlen und wissen, Leverkühn, wenn du eben nicht Adrian Leverkühn wärest, das heißt: zu kühl, um jung, und zu gescheit, um religiös zu sein. Mit der Gescheitheit mag man es in der Kirche weit bringen, aber kaum im Religiösen.«
»Vielen Dank, Deutschlin«, lachte Adrian. »In gut altdeutschen Worten, wie Ehrenfried Kumpf sagen würde, ohn' alle Bemäntelung hast du's mir gegeben. Ich habe eine Ahnung, daß ich es auch in der Kirche nicht weit bringen werde, aber gewiß ist, daß ich ohne sie nicht Theolog geworden wäre. Ich weiß ja, daß es die Begabtesten von euch sind, die Kierkegaard gelesen haben, die Wahrheit, auch die ethische Wahrheit, ganz ins Subjektive verlegen und alles Herdendasein perhorreszieren. Aber ich kann euren Radikalismus, der übrigens bestimmt nicht lange vorhalten wird, der eine Studentenlizenz ist, — ich kann euere Kierkegaard'sche Trennung von Kirche und Christentum 160 nicht mitmachen. Ich sehe in der Kirche auch noch, wie sie heute ist, säkularisiert und verbürgerlicht, eine Burg der Ordnung, eine Anstalt zur objektiven Disziplinierung, Kanalisierung, Eindämmung des religiösen Lebens, das ohne sie der subjektivistischen Verwilderung, dem numinosen Chaos verfiele, zu einer Welt phantastischer Unheimlichkeit, einem Meer von Dämonie würde. Kirche und Religion zu trennen, heißt darauf verzichten, das Religiöse vom Wahnsinn zu trennen ...«
»Na, höre mal!« sagten mehrere. Aber:
»Recht hat er!« erklärte unumwunden Matthäus Arzt, den die anderen den >Sozialarzt< nannten, denn das Soziale war seine Passion, er war christlicher Sozialist, und oft zitierte er Goethe's Äußerung, das Christentum sei eine politische Revolution gewesen, die, verfehlt, moralisch geworden sei. Politisch, sagte er auch jetzt, müsse es wieder werden, nämlich sozial: Das sei das wahre und einzige Mittel zur Disziplinierung des Religiösen, dessen Ausartungsgefahren Leverkühn gar nicht schlecht geschildert habe. Der religiöse Sozialismus, die sozial gebundene Religiosität, das sei es, denn die rechte Bindung zu finden, daran sei alles gelegen, und die theonome Bindung müsse mit der sozialen, mit der Bindung an die von Gott gestellte Aufgabe der Gesellschaftsvervollkommnung vereinigt werden. »Glaubt mir nur«, sagte er, »auf das Heranwachsen eines verantwortlichen Industrievolkes, einer internationalen Industrie-Nation kommt alles an, die einmal eine echte und rechte europäische Wirtschaftsgesellschaft bilden kann. In der werden alle Gestaltungsimpulse liegen, und liegen keimhaft schon jetzt, nicht bloß zur technischen Durchführung einer neuen Wirtschaftsorganisation, nicht nur zu einer durchgreifenden Hygienisierung der naturalen Lebensbezüge, sondern auch zur Begründung neuer politischer Ordnungen.«
Ich gebe die Reden dieser jungen Leute so wieder, wie sie gehalten wurden, in ihren Ausdrücken, die einem gelehrten Jargon angehörten, dessen Gespreiztheit ihnen nicht im mindesten zum Bewußtsein kam; vielmehr bedienten sie sich seiner in aller Vergnügtheit und Bequemlichkeit, ganz natürlich,

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indem sie sich das gestelzt Anspruchsvolle mit virtuoser Anspruchslosigkeit zuwarfen. »Naturale Lebensbezüge« und »theonome Bindung«, das waren solche Preziositäten; man hätte es auch einfacher sagen können, aber dann wäre es nicht ihre geisteswissenschaftliche Sprache gewesen. Gern stellten sie »die Wesensfrage«, redeten vom »sakralen Raum« oder dem »politischen Raum« oder vom »akademischen Raum«, von »Strukturprinzip«, von »dialektischem Spannungsverhältnis«, von »seinshaften Entsprechungen« und so fort. Deutschlin, die Hände hinter dem Kopf gefaltet, stellte also jetzt die Wesensfrage nach dem genetischen Ursprung von Arztens Wirtschaftsgesellschaft. Der sei doch kein anderer als die ökonomische Vernunft, und immer nur diese könne in der Wirtschaftsgesellschaft auch repräsentiert werden. »Wir müssen uns doch klar darüber sein, Matthäus«, sagte er, »daß das Gesellschaftsideal der ökonomischen Sozialorganisation einem aufklärerisch-autonomen Denken entstammt, kurz, einem Rationalismus, der von der Mächtigkeit über- und untervernünftiger Gewalten noch gar nicht erfaßt ist. Aus der bloßen Einsicht und Vernunft des Menschen glaubst du eine gerechte Ordnung entwickeln zu können, wobei du >gerecht< und >sozialnützlich< gleichsetzest, und daraus, meinst du, werden neue politische Ordnungen kommen. Der ökonomische Raum ist aber ein ganz anderer als der politische, und vom ökonomischen Nützlichkeitsdenken zum geschichtsbezogenen politischen Bewußtsein gibt es gar keinen direkten Übergang. Ich verstehe nicht, wie du das verkennen kannst. Politische Ordnung bezieht sich auf den Staat, und der ist eine nicht von der Nützlichkeit her bestimmte Macht und Herrschaftsform, worin denn doch andere Qualitäten repräsentiert werden, als Unternehmervertreter und Gewerkschaftssekretäre sie kennen, zum Beispiel Ehre und Würde. Für solche Qualitäten, mein Lieber, bringen die Leute des ökonomischen Raums nicht die nötigen seinshaften Entsprechungen mit.«
»Ach, Deutschlin, was redest du«, sagte Arzt. »Wir wissen doch als moderne Soziologen ganz gut, daß auch der Staat von

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nützlichen Funktionen bestimmt ist. Da ist die Rechtsprechung, da ist die Sicherheitsgewährung. Und dann leben wir doch überhaupt in einem ökonomischen Zeitalter, das Ökonomische ist einfach der geschichtliche Charakter dieser Zeit, und Ehre und Würde helfen dem Staat keinen Deut, wenn er es nicht versteht, die ökonomischen Verhältnisse von sich aus richtig zu erkennen und zu leiten.«
Deutschlin gab das zu. Aber er leugnete, daß Nützlichkeitsfunktionen die wesentliche Begründung des Staates seien. Die Legitimierung des Staates liege in seiner Hoheit, seiner Souveränität, die darum unabhängig vom Wertschätzen einzelner bestehe, weil sie — sehr im Gegensatz zu den Flausen des Contrat Social — vor dem einzelnen da sei. Die überindividuellen Zusammenhänge hätten nämlich ebensoviel Daseinsursprünglichkeit wie die einzelnen Menschen, und ein Ökonom könne vom Staat eben darum nichts verstehen, weil er von seiner transzendentalen Grundlegung nichts verstehe.
Von Teutleben sagte darauf:
»Ich bin gewiß nicht ohne Sympathie mit der sozialreligiösen Bindung, die Arzt befürwortet; besser als gar keine ist sie allemal, und Matthäus hat nur zu recht, wenn er sagt, daß alles darauf ankommt, die rechte Bindung zu finden. Um aber recht zu sein, um zugleich religiös und politisch zu sein, muß sie volkhaft sein, und was ich mich frage, ist, ob aus der Wirtschaftsgesellschaft heraus ein neues Volkstum entstehen kann. Seht euch im Ruhrgebiet um: Da habt ihr Sammelzentren von Menschen, aber doch keine neuen Volkstumszellen. Fahrt mal im Personenzug von Leuna nach Halle! Da seht ihr Arbeiter zusammensitzen, die über Tariffragen ganz gut zu sprechen wissen, aber daß sie aus ihrer gemeinsamen Betätigung irgendwelche Volkstumskräfte gezogen hätten, das geht aus ihren Gesprächen nicht hervor. In der Wirtschaft herrscht mehr und mehr die nackte Endlichkeit. . .«
»Das Volkstum ist aber auch endlich«, erinnerte ein anderer, es war entweder Hubmeyer oder Schappeler, ich kann es nicht mit Bestimmtheit sagen. »Das dürfen wir als Theologen nicht

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zulassen, daß das Volk etwas Ewiges sei. Begeisterungsfähigkeit ist etwas sehr Gutes und Gläubigkeitsbedürfnis etwas der Jugend sehr Natürliches, aber eine Versuchung ist es auch, und man muß sich die Substanz der neuen Bindungen, die heute, wo der Liberalismus abstirbt, überall angeboten werden, sehr genau ansehen, ob sie auch Echtheit hat, und ob denn das die Bindung schaffende Objekt auch etwas Wirkliches ist oder vielleicht nur das Produkt einer, sagen wir einmal: Strukturromantik, die sich ideologische Objekte auf nominalistischem, um nicht zu sagen fiktionalistischem Wege schafft. Meiner Meinung nach, oder meiner Befürchtung nach sind das vergötzte Volkstum und der utopisch gesehene Staat solche nominalistischen Bindungen, und das Bekenntnis zu ihnen, also sagen wir,: das Bekenntnis zu Deutschland, hat etwas Unverbindliches, weil es gar nichts mit der personalen Substanz und Qualitätshaltigkeit zu tun hat. Nach der wird überhaupt nicht gefragt, und wenn einer >Deutschland!< sagt und das für seine Bindung erklärt, so braucht er gar nicht nachzuweisen und wird von niemandem gefragt, auch von sich selbst nicht, wieviel Deutschtum er eigentlich im personalen und das heißt: qualitativen Sinn verwirklicht und wieweit er imstande ist, der Behauptung einer deutschen Lebensform in der Welt zu dienen. Das ist es, was ich Nominalismus, oder besser: Namensfetischismus nenne, und was nach meiner Meinung ideologischer Götzendienst ist.«
»Gut, Hubmeyer«, sagte Deutschlin, »das ist alles ganz richtig, was du sagst, und jedenfalls gebe ich dir zu, daß du uns mit deiner Kritik näher an das Problem herangeführt hast. Ich habe Matthäus Arzt widersprochen, weil mir die Vorherrschaft des Nützlichkeitsprinzips im ökonomischen Raum nicht paßt; aber darin stimme ich ganz mit ihm überein, daß die theonome Bindung an sich, also das Religiöse im allgemeinen, etwas Formalistisches und Ungegenständliches hat, daß es einer irdisch-empirischen Ausfüllung oder Anwendung oder Bewährung bedarf, einer Praktizierung im Gehorsam gegen Gott. Und da hat nun Arzt den Sozialismus erwählt und Carl 164 Teutleben das Völkische. Das sind aber die beiden Bindungen, zwischen denen wir heute die Wahl haben. Ich leugne, daß es ein Überangebot an Ideologien gibt, seit die Freiheitsphrase keinen Hund mehr vom Ofen lockt. Es gibt tatsächlich nur diese beiden Möglichkeiten religiösen Gehorsams und religiöser Verwirklichung: die soziale und die nationale. Das Unglück will aber, daß sie beide ihre Bedenken und Gefahren haben, und zwar sehr ernste. Über eine gewisse, so häufig vorkommende nominalistische Hohlheit und personale Substanzlosigkeit des völkischen Bekenntnisses hat Hubmeyer sich ganz zutreffend geäußert, und verallgemeinernd sollte man hinzufügen, daß es gar nichts heißen will, sich auf die Seite lebenerhöhender Objektivierungen zu schlagen, wenn das für die persönliche Lebensgestaltung keine Bedeutung hat, sondern nur für feierliche Anlässe gilt, wozu ich sogar den rauschhaften Opfertod noch rechne. Zum echten Opfer gehören zwei Wertbestände und Qualitätshaltigkeiten: die der Sache und die des Opfers... Wir haben aber Fälle, wo die persönliche Substanz, sagen wir: an Deutschtum, sehr groß war und ganz unwillkürlich sich auch als Opfer objektivierte, wo es aber an Bekenntnis zu völkischer Bindung nicht nur völlig fehlte, sondern auch die heftigste Negation davon statthatte, so daß das tragische Opfer gerade in dem Widerstreit von Sein und Bekenntnis bestand . . . Soviel für heute abend über die nationale Bindung. Was aber die soziale betrifft, so hat sie den Haken, daß, wenn im ökonomischen Raum alles bestmöglich reguliert ist, die Frage nach der Sinnerfüllung des Daseins und nach würdiger Lebensführung noch genau so offenbleibt wie heute. Eines Tages werden wir die universelle ökonomische Verwaltung der Erde haben, den kompletten Sieg des Kollektivismus, — gut, damit wird dann die relative Unsicherheit des Menschen verschwunden sein, die der soziale Katastrophencharakter des kapitalistischen Systems noch bestehen läßt, das heißt: verschwunden sein wird der letzte Erinnerungsrest an die Gefährdung des menschlichen Lebens und damit die geistige Problematik überhaupt. Man fragt sich, wozu dann noch leben . . .«

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»Möchtest du das kapitalistische System erhalten, Deutschlin«, fragte Arzt, »weil es die Erinnerung an die Gefährdung des menschlichen Lebens wach erhält?«
»Nein, das möchte ich nicht, lieber Arzt«, antwortete Deutschlin ärgerlich. »Man wird ja wohl noch auf die tragischen Antinomien hinweisen dürfen, von denen das Leben voll ist.«
»Auf die braucht man gar nicht hingewiesen zu werden«, seufzte Dungersheim. »Es ist ja eine wahre Not damit, und als religiöser Mensch muß man sich fragen, ob die Welt wirklich das alleinige Werk eines gütigen Gottes ist oder nicht vielmehr eine Gemeinschaftsarbeit, ich sage nicht, mit wem.«
»Was ich wissen möchte«, bemerkte von Teutleben, »das ist, ob die Jugend anderer Völker auch so auf dem Stroh liegt und sich mit den Problemen und Antinomien plagt.«
»Kaum«, antwortete Deutschlin wegwerfend. »Die haben es alle geistig viel einfacher und bequemer.«
»Die russische revolutionäre Jugend«, meinte Arzt, »sollte man ausnehmen. Da gibt es, wenn ich nicht irre, eine unermüdliche diskursive Angeregtheit und verdammt viel dialektische Spannung.«
»Die Russen«, sagte Deutschlin sentenziös, »haben Tiefe, aber keine Form. Die im Westen Form, aber keine Tiefe. Beides zusammen haben nur wir Deutsche.«
»Na, wenn das keine völkische Bindung ist!«lachte Hubmeyer.
»Es ist bloß die Bindung an eine Idee«, versicherte Deutschlin. »Es ist die Forderung, von der ich spreche. Unsere Verpflichtung ist exzeptionell, durchaus nicht das Maß, in dem wir sie bereits erfüllen. Sollen und Sein klaffen bei uns weiter auseinander als bei anderen, weil eben das Sollen sehr hoch gesetzt ist.«
»Man sollte bei alldem doch wohl vom Nationellen absehen«, warnte Dungersheim, »und die Problematik mit der Existenz des modernen Menschen überhaupt verbunden sehen. Es ist doch so, daß, seit das unmittelbare Seinsvertrauen abhanden gekommen ist, das in früheren Zeiten das Ergebnis des Hineingestelltseins in vorgefundene Ganzheitsordnungen war, ich meine sakral imprägnierten Ordnungen, die eine bestimmte

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Intentionalität auf die geoffenbarte Wahrheit hatten . . . daß seit ihrem Zerfall und dem Entstehen der modernen Gesellschaft unser Verhältnis zu Menschen und Dingen unendlich reflektiert und kompliziert geworden ist und es nichts als Problematik und Ungewißheit mehr gibt, so daß der Entwurf auf die Wahrheit in Resignation und Verzweiflung zu enden droht. Die Ausschau aus der Zersetzung nach Ansätzen zu neuen Ordnungskräften ist allgemein, wenn man auch zugeben kann, daß sie bei uns Deutschen besonders ernst und dringlich ist, und daß die anderen nicht so an dem geschichtlichen Schicksal leiden, entweder weil sie stärker, oder weil sie stumpfer sind. . . «
»Stumpfer«, entschied von Teutleben.
»So sagst du, Teutleben. Aber wenn wir nun so die Schärfe und Bewußtheit der historisch-psychologischen Problematik uns zur nationalen Ehre rechnen und das Trachten nach neuen Ganzheitsordnungen mit dem Deutschtum identifizieren, so sind wir schon im Begriff, uns einem Mythos von zweifelhafter Echtheit und unzweifelhafter Hoffart zu verschreiben, nämlich dem völkischen mit seiner Strukturromantik des Kriegertypus, die nichts weiterist als christliıch verbrämtes, naturales Heidentum und Christus zum »Herrn der himmlischen Heerscharen« stempelt. Das ist aber eine entschieden dämonisch bedrohte Position...«
»Nun, und?« fragte Deutschlin. »Dämonische Kräfte stecken neben Ordnungsqualitäten in jeder vitalen Bewegung.«
»Nennen wir doch die Dinge bei Namen«, verlangte Schappeler; es kann auch sein, daß es Hubmeyer war. »Das Dämonische, das heißt doch auf deutsch: die Triebe, Und das ist es ja gerade, daß heute sogar schon mit den Trieben Propaganda für allerlei Bindungsangebote gemacht wird, indem man nämlich auch sie noch mit einbezieht und den alten Idealismus mit Triebpsychologie aufputzt, damit der bestechende Eindruck einer größeren Wirklichkeitsdichte entsteht. Deswegen kann aber das Angebot doch noch Schwindel sein...«
Hier kann ich nur »Und so weiter«, sagen, dennes ist Zeit, daß ich der Wiedergabe dieses Gesprächs — oder eines solchen Gesprächs — ein Ende setze. In Wirklichkeit hatte es keines oder ging doch noch lange, bis tief in die Nacht hinein, weiter, mit »doppelpoliger Haltung« und »geschichtsbewußter Analyse«, mit »überzeitlichen Qualitäten«, »ontischer Naturhaftigkeit«, »logischer Dialektik« und »Real-Dialektik«, gelehrt, bemüht und uferlos, um dann im Sande zu verlaufen, das heißt: im Schlaf, zu dem der Chargierte Baworirrski ermahnte, da man morgen — aber es war schon fast morgen — zeitig zur Wanderung aufbrechen wollte. Daß die gütige Natur den Schlaf bereit hielt, um das Gespräch darin aufzunehmen und es in Vergessenheit zu wiegen, war ein dankenswerter Umstand, und« Adrian, der lange nichts mehr gesagt hatte, gab dem Ausdruck mit ein paar im Zurechtkuscheln hingesprochenen Worten:
»Ja, gute Nacht. Ein Glück, daß man's sagen kann. Diskussionen sollte man immer nur vorm Einschlafen halten, mit der Rückendeckung des wartenden Schlafs. Wie peinlich, nach einem geistigen Gespräch noch wachen Sinnes umhergehen zu müssen!«
»Das ist aber eine Fluchtposition«, murrte noch jemand, und dann ertönten die ersten Schnarchlaute in unserer Scheune, befriedete Kundgebungen der Anheimgabe ans Vegetative, von der ein paar Stunden genügten, um der lieben Jugend die Spannkraft zur Vereinigung von dankbar atmendem und schauendem Naturgenuß mit den obligaten theologisch-philosophischen Debatten zurückzugeben, die fast niemals abrissen, und in denen man einander opponierte und imponierte, sich wechselseitig belehrte und förderte. Zur Juni-Zeit etwa, wenn aus den Schluchten der bewaldeten Höhen, die das Thüringer Becken durchziehen, die schweren Düfte des Jasmins, des Faulbaums quollen, waren es köstliche Wandertage hier durch das von Industrie fast freie, mild-begünstigte, fruchtbare Land mit seinen freundlichen Haufendörfern aus Fachwerkbauten; und kam man dann aus der Gegend des Ackerbaus in die der vorwiegenden Viehzucht und verfolgte den sagenumwobenen Höhenpfad des mit Fichten und Buchen bestandenen Kammgebirges, den >Rennsteig< der mit seinen Tiefblicken ins Werratal sich vom Frankenwald gegen Eisenach, die Hörselstadt, erstreckt, so wurde es immer schöner, bedeutender, romantischer, und weder was Adrian über die Sprödigkeit der Jugend vor der Natur, noch was er über die Wünschbarkeit gesagt hatte, bei geistigen Disputen auf den Schlaf rekurrieren zu können, schien irgendwelche typische Gültigkeit zu haben. Auch für ihn selbst galt es kaum, denn, falls nicht etwa die Migräne ihn schweigsam machte, trug er lebhaft zu den Tagesgesprächen bei, und wenn die Natur ihm auch keine begeisterten Ausrufungen entlockte und er mit einer gewissen sinnenden Zurückhaltung auf sie blickte, so zweifle ich nicht, daß ihre Bilder, Rhythmen, hochhingetragenen Melodien ihm tiefer in die Seele drangen als den Genossen, und habe bei manchem Vorübergang reiner, gelöster Schönheit, der sich aus seinem geistgespannten Werk hervortut, später an jene gemeinsamen Eindrücke denken müssen.
Ja, das waren angeregte Stunden, Tage und Wochen. Die Sauerstofflabung durch das Freiluftleben, Eindrücke der Landschaft und der Geschichte begeisterten diese jungen Leute und hoben ihre Gemüter zu Gedanken auf, die das Luxuriöse und frei Experimentierende der Studentenzeit hatten, und für die sie im späteren trockenen Berufsleben, im Zustande des Philisteriums — und ob es auch ein geistiges Philisterium sein würde — gar keine Verwendung mehr haben würden. Oft betrachtete ich sie bei ihren theologisch-philosophischen Debatten und stellte mir vor, daß manchem von ihnen später einmal seine >Winfried<-Zeit als der größte Abschnitt seines Lebens erscheinen werde. Ich betrachtete sie und betrachtete Adrian — mit dem überdeutlichen Vorgefühl, daß sie ihm bestimmt nicht so erscheinen werde. War ich, als Nicht-Theolog, ein Hospitant unter ihnen, — er war es, obgleich Theolog, noch mehr. Warum? Ich spürte, nicht ohne Beklemmung, einen Schicksalsabgrund zwischen dieser strebend gehobenen Jugend und seiner Existenz, den Unterschied der Lebenskurve zwischen gutem, ja vortrefflichem Durchschnitt, dem bald aus dem vagierenden, versuchenden Burschentum ins bürgerliche Leben einzulenken

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bestimmt war, und dem unsichtbar Gezeichneten, der den Weg des Geistes und der Problematik nie verlassen, ihn wer weiß wohin weitergehen sollte, und dessen Blick, dessen nie ganz ins Brüderliche sich lösende Haltung, dessen Hemmungen beim Du- und Ihr- und Wir-sagen mich und wahrscheinlich auch die anderen empfinden ließ, daß auch er diesen Unterschied ahnte.
Schon zu Beginn seines vierten Semesters hatte ich Anzeichen, daß mein Freund das theologische Studium noch vor dem ersten Examen abzubrechen gedachte.



XV

Adrians Beziehungen zu Wendell Kretzschmar hatten sich niemals gelöst oder gelockert. Der junge Beflissene der Gotteswissenschaft sah den musikalischen Mentor soiner Gymnasialzeit in jeden Ferien, wenn er nach Kaisersaschern kam, besuchte ihn und beredete sich mit ihm in der Dom-Wohnung des Organisten, sah ihn auch im Hause seines Onkels Leverkühn und bestimmte ein- oder zweimal seine Eltern, ihn für das Wochenende nach Hof Buchel einzuladen, wo er ausgedehnte Spaziergänge mit ihm machte und Jonathan Leverkühn bewog, seinem Gast die Chladni'schen Klangfiguren und den fressenden Tropfen vorzuführen. Mit dem alternden Buchelwirt stand Kretzschmar sehr gut, weniger unbefangen dagegen, wenn auch keineswegs auf irgendwie wirklich gespanntem Fuß, mit Frau Elsbeth, vielleicht weil diese durch sein Stotterleiden geängstigt wurde, das sich wohl eben darum in ihrer Gegenwart, hauptsächlich im direkten Gespräch mit ihr, verschlimmerte. Es war merkwürdig: In Deutschland genießt doch die Musik das populäre Ansehen, dessen sich in Frankreich die Literatur erfreut, und niemand ist bei uns befremdet, eingeschüchtert, unangenehm berührt oder zu Mißachtung und Spott gestimmt durch die Tatsache, daß einer ein Musiker ist. Ich bin auch überzeugt, daß Elsbeth Leverkühn der Existenz von Adrians älterem

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Freund, der seine Tätigkeit noch dazu als bestallter Mann im Dienste der Kirche übte, vollen Respekt entgegenbrachte. Dennoch beobachtete ich während der zweieinhalb Tage, die ich einmal gleichzeitig mit ihm und Adrian auf Buchel verbrachte, eine gewisse, durch Freundlichkeit nicht ganz verhüllte Gezwungenheit, Zurückhaltung, Ablehnung in ihrem Verhalten gegen den Organisten, die dieser, wie gesagt, mit einer ein paarmal bis zum Kalamitosen gehenden Verstärkung seines Stotterns beantwortete — schwer zu sagen, ob nur aus dem Grunde, weil er ihr Unbehagen, ihr Mißtrauen, oder wie man es nennen soll, spürte, oder weil er schon von sich aus, spontan, bestimmten Hemmungen der Scheu und der Verlegenheit vor der Natur dieser Frau unterlag.
Was mich betraf, so zweifelte ich nicht, daß die eigentümliche Spannung zwischen Kretzschmar und Adrians Mutter sich auf diesen bezog, daß er ihr Gegenstand war, und ich spürte das, weil ich in dem stillen Streit, der hier herrschte, mit meinen eigenen Empfindungen zwischen den Parteien die Mitte hielt, mich der einen und auch wieder der anderen zuneigte. Was Kretzschmar wollte, und wovon er auf jenen Spaziergängen mit Adrian sprach, war mir klar, und meine eigenen Wünsche unterstützten ihn insgeheim. Ich gab ihm recht, wenn er, auch im Gespräch mit mir, die Berufung seines Schülers zum Musiker, zum Komponisten mit Entschiedenheit, ja mit Dringlichkeit vertrat. »Er hat«, sagte er, »auf die Musik den kompositorischen Blick des Initiierten, nicht den der Außenstehenden, vag Genießenden. Seine Art, Motivzusammenhänge aufzudecken, die ein solcher nicht sieht, die Gliederung eines kurzen Abschnitts gleichsam in Frage und Antwort wahrzunehmen, überhaupt zu sehen, von innen zu sehen, wie es gemacht ist, versichert mich meines Urteils. Daß er noch nicht schreibt, nicht produktiven Trieb bekundet und mit Jugendkompositionen naiv loslegt, gereicht ihm nur zur Ehre; es ist Sache seines Stolzes, der ihn hindert, epigonenhafte Musik in die Welt zu setzen.«
Ich konnte alldem nur beipflichten. Auf die beschützende

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Sorge der Mutter aber verstand ich mich auch aus dem Grunde und fühlte mich oft bis zur Feindseligkeit gegen den Werber mit ihr solidarisch. Nie vergesse ich ein Bild, eine Szene im Wohnzimmer des Buchelhauses, als wir dort zufällig zu viert, Mutter und Sohn, Kretzschmar und ich, beisammensaßen und Elsbeth im Gespräch mit dem blubbernd und pustend inhibierten Musiker — einer bloßen Unterhaltung, bei der durchaus nicht von Adrian die Rede war — den Kopf des bei ihr sitzenden Sohnes auf eigentümliche Weise an sich zog. Sie schlang gleichsam den Arm um ihn, aber nicht um seine Schultern, sondern um sein Haupt, die Hand auf seiner Stirn, und so, den Blick ihrer schwarzen Augen auf Kretzschmar gerichtet und mit ihrer wohllautenden Stimme zu ihm sprechend, lehnte sie Adrians Kopf an ihre Brust. —
Übrigens hielten nicht nur diese persönlichen Wiederbegegnungen das Verhältnis zwischen Meister und Schüler aufrecht, sondern auch ein ziemlich häufiger, ich glaube: etwa vierzehntägiger Briefwechsel zwischen Halle und Kaisersaschern tat das, über den Adrian mir von Zeit zu Zeit berichtete, und von dem ich auch einzelne Stücke zu sehen bekommen habe. Daß Kretzschmar wegen der Übernahme einer Klavier- und Orgel-Klasse mit dem Hase'schen Privat-Konservatorium in Leipzig verhandelte, welches damals neben der berühmten staatlichen Musikschule dieser Stadt sich eines wachsenden Ansehens zu erfreuen begann und dieses in den nächsten zehn Jahren, bis zu dem Tode des ausgezeichneten Pädagogen, Clemens Hase, noch immer mehrte (jetzt spielt es längst keine Rolle mehr, wenn es noch existiert) — erfuhr ich schon Michaelis 1904. Zu Beginn des nächsten Jahres verließ Wendeil dann Kaisersaschern, um seine neue Stellung anzutreten, und von da an ging denn also jener Briefwechsel zwischen Halle und Leipzig hin und her:* Kretzschmars einseitig beschriebene, mit großen, steifen, gekratzten und spritzenden Buchstaben bedeckten Blätter und Adrians auf rauhem, gelblichem Papier in seiner ebenmäßigen und leicht .altertümlich gestalteten, etwas schnörkelhaften Handschrift ausgeführten Botschaften, denen man es ansah, daß sie

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mit der Rundschriftfeder hergestellt waren. In den Entwurf zu einer von ihnen, sehr gedrängt und chiffrenmäßig geschrieben, voll winziger Interpolationen und Korrekturen — aber ich war früh mit seiner Schreibtechnik genau vertraut und konnte stets alles von seiner Hand ohne Schwierigkeit lesen —, in einen Briefentwurf von ihm also gewährte er mir Einblick und zeigte mir auch Kretzschmars Antwort. Er tat es offenbar, damit ich von dem Schritt, den er vorhatte, nicht allzu überrascht sein möchte, wenn er sich tatsächlich zu ihm entschlösse. Denn noch war er nicht entschlossen, zögerte sogar stark, in zweifelnder Selbstprüfung, wie aus seinem Schreiben hervorging, und wünschte offenbar, auch von mir beraten zu sein, — Gott wußte, ob lieber im warnenden oder im anspornenden Sinn.
Von Überraschung auf meiner Seite konnte nicht die Rede sein und hätte nicht die Rede sein können, auch wenn ich eines Tages vor vollendete Tatsachen gestellt worden wäre. Ich wußte, was sich vorbereitete, — ob es sich vollenden würde, war eine andere Frage; aber auch das war mir klar, daß seit Kretzschmars Übersiedelung nach Leipzig seine Gewinnchancen bedeutend gestiegen waren.
In seinem Brief, der eine superiore Fähigkeit des Schreibers bekundete, kritisch auf sich selbst herabzublicken, und mich als Bekenntnis, in seiner spöttischen Zerknirschtheit, außerordentlich ergriff, setzte Adrian dem ehemaligen Mentor, der es wieder, und auf entschiedenere Weise wieder zu werden wünschte, die Skrupel auseinander, die ihn von dem Entschluß zurückhielten, den Beruf zu wechseln und sich ganz der Musik in die Arme zu werfen. Halb und halb gab er ihm zu, daß die Theologie als empirisches Studium ihn enttäuscht habe,— wofür die Gründe natürlich nicht in dieser ehrwürdigen Wissenschaft, auch nicht bei seinen akademischen Lehrern, sondern in ihm selbst zu suchen seien. Das erweise sich schon darin, daß er durchaus nicht zu sagen wisse, welche andere, bessere, richtigere Wahl er denn hätte treffen sollen. Zuweilen, wenn er über Möglichkeiten des Umsatteins mit sich rätig geworden sei, habe er in diesen Jahren daran gedacht, zur Mathematik

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überzugehen, bei der er auf der Schule immer gute Unterhaltung gefunden habe. (Der Ausdruck »gute Unterhaltung« ist wörtlich seinem Briefe entnommen.) Aber mit einer Art von Schrecken vor sich selber sehe er es kommen, daß er auch von dieser Disziplin, wenn er sie zu der seinen mache, sich ihr verschwöre, sich mit ihr identifiziere, sehr bald ernüchtert werden, sich an ihr langweilen, der Sache so müd und satt sein werde, als wenn er's mit eisernen Kochlöffeln gegessen. (Auch dieser barocken Redewendung erinnere ich mich wörtlich aus seinem Brief.) »Ich kann es Euch nicht verhalten«, schrieb er (denn obgleich er den Adressaten in der Regel mit Sie anredete, verfiel er zuweilen in die altertümliche Ihr-Form), »—weder Euch noch mir, daß es mit Euerem apprendista eine gottverlassene Bewandtnis hat, keine ganz wochentägliche, ich verstecke mich nicht so, aber eine, die eher Anlaß gibt zur Erbärmde, als daß sie einem sollte die Augen im Kopfe leuchten lassen.« Er habe von Gott einen versatilen Verstand zur Gabe erhalten und von seinen kindlichen Tagen auf ohn' sonderbare Mühe alles aufgefaßt, was die Erziehung ihm dargeboten — zu leicht wohl eigentlich, als daß irgend etwas davon bei ihm zu rechtem Ansehen hätte kommen können. Zu leicht, als daß Blut und Sinn sich um eines Gegenstandes willen und durch die Bemühung um ihn je recht hätten erwärmen sollen. »Ich fürchte«, schrieb er, »lieber Freund und Meister, ich bin ein schlechter Kerl, denn ich habe keine Wärme. Es heißt zwar, verflucht und ausgespien seien die, die weder kalt noch warm, sondern lau sind. Lau möchte ich mich nicht nennen; ich bin entschieden kalt, — aber in meinem Urteil über mich selbst bitte ich mir Unabhängigkeit aus von dem Geschmack der Segen und Fluch verteilenden Macht.«
Er fuhr fort:
»Lächerlich zu sagen, aber auf dem Gymnasium war es noch am besten, ich war dort ziemlich recht noch am Ort, darum, weil die höhere Vorschule das Verschiedenste, eins nach dem anderen, austeilt, von fünfundvierzig zu fünfundvierzig Minuten die Gesichtspunkte einander ablösen, kurz, weil es noch keinen

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Beruf gibt. Aber schon diese fünfundvierzig Fach-Minuten weilten mir zu lange, machten mir Langeweile — das kälteste Ding von der Welt. Nach fünfzehn, spätestens, hatte ich los, woran der gute Mann mit den Buben noch dreißig kaute; beim Lesen der Schriftsteller las ich voran, hatte übrigens schon zu Hause voran gelesen, und blieb ich eine Antwort schuldig, so darum nur, weil ich voran und eigentlich schon in der nächsten Stunde war, dreiviertel Stunden Anabasis, das war zuviel von ein und demselben für meine Geduld, und des zum Zeichen stellte das Hauptweh sich ein« (damit meinte er seine Migräne), »— das Hauptweh kam nie von Ermüdung durch Mühe, es kam von Überdruß, von kalter Langerweile, und, lieber Meister und Freund, seit ich kein von Fach zu Fach springender Junggeselle mehr bin, sondern verheiratet mit einem Beruf, einem Studium, hat es sich zusammen mit ihr ins oft schon recht Arge verstärkt.
Großer Gott, Sie werden nicht glauben, daß ich mich für zu schade halte für jeden Beruf. Im Gegenteil: es ist mir schade um jeden, den ich zu dem meinen mache, und Sie mögen eine Huldigung für — eine Liebeserklärung an die Musik darin sehen, eine Ausnahmestellung zu ihr, daß es mir um sie ganz besonders schade wäre.
Sie werden fragen: >Es war dir nicht schade um die Theologie ?< — Ich habe mich ihr unterstellt, nicht sowohl — wenn auch aus diesem Grunde zugleich — weil ich die höchste Wissenschaft in ihr sah, sondern weil ich mich demütigen, mich beugen, mich disziplinieren, den Dünkel meiner Kälte bestrafen wollte, kurz, aus contritio. Mich verlangte nach dem härenen Kleid, dem Stachelgürtel darunter. Ich tat, was Frühere taten, wenn sie ans Tor pochten eines Klosters von strenger Observanz. Es hat seine absurden und lächerlichen Seiten, dies wissenschaftliche Klosterleben, aber wollen Sie verstehen, daß ein geheimer Schrecken mich abmahnt, es aufzugeben, die Heilige Schrift unter die Bank zu legen und in die Kunst zu entlaufen, in die Sie mich einführten, und um die es mir, als Beruf für mich, so ausnehmend schade wäre?
Sie halten mich für berufen zu dieser Kunst und geben mir zu

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verstehen, daß der >Schritt vom Wege< zu ihr nicht gar groß wäre. Mein Luthertum stimmt dem zu, denn es sieht in Theologie und Musik benachbarte, nahe verwandte Sphären, und persönlich ist mir obendrein die Musik immer als eine magische Verbindung aus Theologie und der so unterhaltenden Mathematik erschienen. Item, sie hat viel von dem Laborieren und insistenten Betreiben der Alchimisten und Schwarzkünstler von ehemals, das auch im Zeichen der Theologie stand, zugleich aber in dem der Emanzipation und Abtrünnigkeit, — sie war Abtrünnigkeit, nicht vom Glauben, das war gar nicht möglich, sondern im Glauben; Abtrünnigkeit ist ein Akt des Glaubens, und alles ist und geschieht in Gott, besonders auch der Abfall von ihm.«
Meine Anführungen sind nahezu wörtlich, wo sie es nicht ganz sind. Ich kann mich auf mein Gedächtnis recht wohl verlassen und habe außerdem mehreres gleich nach der Lesung des Konzeptes für mich zu Papier gebracht, insonderheit die Stelle von der Abtrünnigkeit.
Er entschuldigte sich danach wegen der Abschweifung, die kaum eine war, und ging zu den praktischen Fragen über, welche Art von musikalischer Betätigung er denn ins Auge fassen solle, wenn er dem Drängen Kretzschmars folge. Er hielt ihm vor, daß er ja fürs solistische Virtuosentum von vornherein und anerkanntermaßen verloren sei; denn: »Was zur Nessel werden soll, brennt beizeiten«, schrieb er, und viel zu spät sei er mit dem Instrument in Berührung — überhaupt auf den Gedanken gekommen, es zu berühren, woraus ja der mangelnde Instinkt-Antrieb in diese Richtung klar hervorgehe. Er sei an die Tastatur geraten nicht aus Lust, sich zu ihrem Meister aufzuwerfen, sondern aus heimlicher Neugier auf die Musik selbst, und ganz und gar fehle ihm das Zigeunerblut des konzertierenden Künstlers, der durch die Musik und anläßlich ihrer sich vor dem Publikum produziere. Dazu gehörten seelische Voraussetzungen, sagte er, die bei ihm nicht erfüllt seien: das Verlangen nach Liebesaustausch mit der Menge, nach Kränzen, nach Katzbuckelei und Kußhänden im

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Beifallsgeprassel. — Er vermied die Ausdrücke, die eigentlich die Sache bei Namen genannt hätten, nämlich daß er, selbst wenn er nicht zu spät daran gewesen wäre, zu schamhaft, zu stolz, zu spröde, zu einsam fürs Virtuosentum sei.
Dieselben Gegengründe, fuhr er fort, ständen einer Laufbahn als Dirigent im Wege. Sowenig wie zum InstrumentalGaukler fühle er sich zur stabführenden Frack-Primadonna vor dem Orchester, zum interpretierenden Botschafter und GalaRepräsentanten der Musik auf Erden berufen. Hier entschlüpfte ihm doch ein Wort, das in den Bereich derer gehörte, die ich soeben als eigentlich sachdienlich einsetzte: er sprach von Weltscheu. »Weltscheu« nannte er sich und wollte damit nichts zu seinem Lobe gesagt haben. Diese Eigenschaft, urteilte er, sei der Ausdruck des Mangels an Wärme, an Sympathie, an Liebe, — und es frage sich allzusehr, ob man mit ihr überhaupt zum Künstler, das heiße denn doch wohl immer: zum Liebhaber und zum Geliebten der Welt tauge. — Falle dies beides denn aber weg, das Solisten-, das Dirigentenziel, — was bleibe? Nun, allerdings, die Musik als solche, die Versprechung und Verlobung mit ihr, das hermetische Laboratorium, die Goldküche, die Komposition. Wundervoll! »Ihr werdet mich, Freund Albertus Magnus, in die theoretische Geheimlehre einführen, und gewiß, ich fühle es, ich weiß es im voraus, wie ich es ein wenig schon aus Erfahrung weiß, ich werde keinen ganz blöden Adepten abgeben. Alle Tricks und Zwänge werde ich auffassen, und zwar leicht, weil mein Geist ihnen entgegenkommt, der Boden für sie bereitet ist, manche Saat schon in sich hegt. Ich werde die prima materia veredeln, indem ich ihr das magisterium beisetze und mit Geist und Feuer den Stoff durch viele Engen und Retorten zur Läuterung treibe. Herrliches Geschäft! Ich kenne kein spannenderes, heimlicheres, höheres, tieferes, besseres, keines, für das mich zu gewinnen es geringerer Überredung bedürfte.
Und dennoch, warum warnt eine inwendige Stimme mich1 >O homo fuge?< Ich kann die Frage nicht vollständig artikuliert beantworten. Nur soviel kann ich sagen: Ich fürchte mich

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davor, der Kunst Promission zu machen, weil ich zweifle, ob meine Natur — ganz abseits von der Begabungsfrage — geschaffen ist, ihr Genüge zu tun, weil ich mir die robuste Naivität absprechen muß, die, soviel ich sehe, unter anderem, und nicht zuletzt, zum Künstlertum gehört. Statt ihrer ist eine rasch gesättigte Intelligenz mein Teil, von der ich wohl sprechen darf, da ich bei Himmel und Hölle schwören kann, daß ich mir keinen Deut darauf einbilde; und sie, nebst der damit verbundenen Ermüdbarkeit und Neigung zum Ekel (begleitet von Hauptweh), ist der Grund meiner Scheu und Sorge, sie wird, sie sollte mich zur Abstinenz bestimmen. Seht, guter Meister, so jung ich bin, hab' ich von der Kunst ein Hinlängliches los, um zu wissen — und müßte nicht Euer Schüler sein, es nicht zu wissen —, daß sie über das Schema, die Übereinkunft, die Überlieferung, darüber, was einer vom andern lernt, über den Trick, über das >Wie es gemacht wird< weit hinausgeht, aber unleugbar ist von alldem doch immer viel in ihr einschlägig, und ich sehe es kommen (denn das Antizipieren liegt leider oder glücklicherweise auch in meiner Natur), daß ich mich vor der Abgeschmacktheit, die das tragende Gerüst, die ermöglichende Festigkeitssubstanz auch des genialen Kunstwerks ist, vor dem, was Gemeingut, Kultur daran ist, vor den Gepflogenheiten in der Erzielung des Schönen — daß ich mich davor genieren, davor erröten, daran ermatten, Hauptweh daran kriegen werde, und das in aller Bälde.
Wie albern und anspruchsvoll wäre es, zu fragen: >Verstehen Sie das?< Denn wie sollten Sie nicht! So geht es zu, wenn es schön ist: Die Celli intonieren allein, ein schwermütig sinnendes Thema, das nach dem Unsinn der Welt, dem Wozu all des Hetzens und Treibens und Jagens und einander Piagens biederphilosophisch und höchst ausdrucksvoll fragt. Die Celli verbreiten sich eine Weile weise kopfschüttelnd und bedauernd über dieses Rätsel, und an einem bestimmten Punkt ihrer Rede, einem wohl erwogenen, setzt ausholend, mit einem tiefen Eratmen, das die Schultern emporzieht und sinken läßt, der Bläserchor ein zu einer Choral-Hymne, ergreifend feierlich, prächtig

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harmonisiert und vorgetragen mit aller gestopften Würde und mild gebändigten Kraft des Blechs. So dringt die sonore Melodie bis in die Nähe eines Höhepunkts vor, den sie aber, dem Gesetz der Ökonomie gemäß, fürs erste noch vermeidet; sie weicht aus vor ihm, spart ihn aus, spart ihn auf, sinkt ab, bleibt sehr schön auch so, tritt aber zurück und macht einem anderen Gegenstande Platz, einem liedhaft-simplen, scherzhaft-gravitätisch-volkstümlichen, scheinbar derb von Natur, der's aber hinter den Ohren hat und sich, bei einiger Ausgepichtheit in den Künsten der orchestralen Analyse und Umfärbung, als erstaunlich deutungs- und sublimierungsfähig erweist. Mit dem Liedchen wird nun eine Weile klug und lieblich gewirtschaftet, es wird zerlegt, im einzelnen betrachtet und abgewandelt, eine reizende Figur daraus wird aus mittleren Klanglagen in die zauberischsten Höhen der Geigen- und Flötensphäre hinaufgeführt, wiegt sich dort oben ein wenig noch, und wie es am schmeichelhaftesten darum steht, nun, da nimmt wieder das milde Blech, die Choral-Hymne von vorhin das Wort an sich, tritt in den Vordergrund, fängt nicht gerade, ausholend wie das erste Mal, von vorne an, sondern tut, als sei ihre Melodie schon eine Weile wieder dabei gewesen, und setzt sich weihesam fort gegen jenen Höhepunkt hin, dessen sie sich das erste Mal weislich enthielt, damit die >Ah!<-Wirkung, die Gefühlsschwellung desto größer sei, jetzt, wo sie in rückhaltlosem, von harmonischen Durchgangstönen der Baßtuba wuchtig gestütztem Aufsteigen ihn glorreich beschreitet, um sich dann, gleichsam mit würdiger Genugtuung auf das Vollbrachte zurückblickend, ehrsam zu Ende zu singen.
Lieber Freund, warum muß ich lachen? Kann man mit mehr Genie das Hergebrachte benutzen, die Kniffe weihen ? Kann man mit gewiegterem Gefühl das Schöne erzielen? Und ich Verworfener muß lachen, namentlich bei den grunzenden Stütztönen des Bombardons — Wum, wum, wum — Pang! —, ich habe vielleicht zugleich Tränen in den Augen, aber der Lachreiz ist übermächtig, — ich habe verdammterweise von jeher bei den geheimnisvoll-eindrucksvollsten Erscheinungen lachen müssen

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und bin von diesem übertriebenen Sinn für das Komische in die Theologie geflohen, in der Hoffnung, daß sie dem Kitzel Ruhe gebieten werde, — um dann eine Menge entsetzlicher Komik in ihr zu finden. Warum müssen fast alle Dinge mir als ihre eigene Parodie erscheinen? Warum muß es mir vorkommen, als ob fast alle, nein, alle Mittel und Konvenienzen der Kunst heute nur noch zur Parodie taugten? — Das sind wahrhaftig rhetorische Fragen, — es fehlte gerade, daß ich auch noch Antwort auf sie erwartete. Aber ein solch verzweifelt Herz, eine solche Hundeschnauze erachten Sie als >begabt< für die Musik und rufen mich zu ihr, zu sich, statt mich lieber in Demut bei der Gotteswissenschaft ausharren zu lassen?«
So Adrians abwehrendes Bekenntnis. Auch Kretzschmars Antwort liegt mir als Dokument nicht vor. In Leverkühns Nachlaß hat sie sich nicht gefunden. Er wird sie eine Weile bewahrt und bei sich gehalten haben, und bei einem Aufenthaltswechsel, dem Umzüge nach München, nach Italien, nach Pfeiffering wird sie verlorengegangen sein. Übrigens habe ich sie in fast ebenso genauer Erinnerung wie Adrians Äußerungen, wenn ich damals auch keine Aufzeichnungen darüber machte. Der Stotterer beharrte bei seinem Ruf, seiner Mahnung und Lockung. Kein Wort in Adrians Brief, schrieb er, habe ihn auch nur augenblicksweise an der Überzeugung irremachen können, daß es die Musik sei, für die das Schicksal ihn, den Schreiber, eigentlich bestimmt habe, nach der es ihn verlange, die nach ihm verlange, und vor der er sich, halb feig, halb kokettisch, hinter halbwahren Analysen seines Charakters und seiner Konstitution verstecke, wie er sich hinter der Theologie, seiner ersten, absurden Berufswahl, vor ihr versteckt habe. »Ziererei, Adri, — und die Verstärkung Ihres Hauptwehs ist die Strafe dafür.« Der Sinn für Komik, den er sich nachrühme, oder dessen er sich anklage, werde sich mit der Kunst weit besser vertragen als mit seiner gegenwärtigen künstlichen Beschäftigung, denn jene, im Gegensatz zu dieser, könne ihn brauchen, — sie könne überhaupt die abstoßenden Charaktereigenschaften, die er sich nachsage, viel besser brauchen, als er glaube oder, der

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Ausrede halber, zu glauben vorgebe. Er, Kretzschmar, wolle die Frage offenlassen, wieweit es sich dabei um Selbstverleumdung handle, bestimmt, die korrespondierende Verleumdung der Kunst zu entschuldigen; denn diese als Kopulation mit der Menge, Kußhändewerfen, Gala-Repräsentation, als Blasebalg der Gefühlsschwellung hinzustellen sei ja eine leichte Verkennung, und zwar eine wissentliche. Es passiere ihm aber, daß er sich mit Eigenschaften von der Kunst entschuldigen wolle, nach denen diese gerade verlange. Leute wie ihn, genau solche, habe die Kunst heute nötig, — und der Witz, der heuchlerisch versteckspielende Witz sei eben der, daß Adrian das ganz genau wisse. Die Kühle, die »rasch gesättigte Intelligenz«, der Sinn für das Abgeschmackte, die Ermüdbarkeit, die Neigung zum Überdruß, die Fähigkeit zum Ekel — dies alles sei ganz danach angetan, die damit verbundene Begabung zur Berufung zu erheben. Warum? Weil es nur zum Teil der privaten Persönlichkeit angehöre, zum anderen Teil aber über-individueller Natur und Ausdruck sei eines kollektiven Gefühls für die historische Verbrauchtheit und Ausgeschöpftheit der Kunstmittel, der Langenweile daran und des Trachtens nach neuen Wegen. »Die Kunst schreitet fort«, schrieb Kretzschmar, »und sie tut es vermittelst der Persönlichkeit, die das Produkt und Werkzeug der Zeit ist, und in der objektive und subjektive Motive sich bis zur Ununterscheidbarkeit verbinden, die einen die Gestalt der anderen annehmen. Das vitale Bedürfnis der Kunst nach revolutionärem Fortschritt und nach dem Zustandekommen des Neuen ist angewiesen auf das Vehikel stärksten subjektiven Gefühls für die Abgestandenheit, das Nichts-mehrzu-sagen-Haben, das Unmöglich-geworden-Sein der noch gang und gäben Mittel, und es bedient sich des scheinbar Unvitalen, der persönlichen Ermüdbarkeit und intellektuellen Gelangweiltheit, des durchschauenden Ekels vor dem >Wie es gemacht wird<, der verfluchten Neigung, die Dinge im Licht ihrer eigenen Parodie zu sehen, den "Sinnes für Komik", - ich sage: der Lebens- und Fortschrittswille der Kunst nimmt die Maske dieser mattherzigen persönlichen Eigenschaften vor, um sich darin zu

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manifestieren, zu objektivieren, zu erfüllen. Ist Ihnen das zuviel der Metaphysik? Es ist aber nur gerade genug davon, nur gerade die Wahrheit, — die Ihnen im Grunde bekannte Wahrheit. Spute dich, Adrian, und entschließe dich! Ich warte. Sie sind schon zwanzig, und Sie haben sich noch eine Menge knifflichen Handwerks anzueignen, schwierig genug, um Sie zu reizen. Es ist besser, von Kanon-, Fugen- und KontrapunktExerzitien Hauptweh zu bekommen als von der Widerlegung der Kant'schen Widerlegung der Gottesbeweise. Genug des theologischen Jungfernstandes!

Die Jungfrauschaft ist wert, doch muß sie Mutter werden,
Sonst ist sie wie ein Plan von unbefruchter Erden.«

Mit diesem Zitat aus dem >Cherubinischen Wandersmann< schloß der Brief, und als ich davon aufblickte, begegnete ich Adrians verschmitztem Lächeln.
»Nicht schlecht pariert, was meinst du?« fragte er.
»Keineswegs«, erwiderte ich.
»Er weiß, was er will«, fuhr er fort, »und es ist ziemlich beschämend, daß ich es nicht so recht weiß.«
»Ich denke, du weißt es auch«, sagte ich. Denn tatsächlich hatte ich in seinem eigenen Brief niemals eine wirkliche Ablehnung gesehen, — freilich auch nicht geglaubt, er sei aus »Ziererei« geschrieben. Das ist gewiß nicht das rechte Wort für den Willen, sich einen Entschluß, mit dem man umgeht, schwer zu machen, ihn mit Zweifeln zu vertiefen. Daß der Entschluß gefaßt werden würde, sah ich mit Bewegung voraus, und dem anschließenden Gespräch über unsere beiderseitige nächste Zukunft lag er schon als so gut wie gefaßt zum Grunde. Ohnedies schieden sich unsere Wege. Trotz starker Myopie war ich zum Militärdienst für tauglich befunden worden und gedachte mein Dienstjahr jetzt einzuschalten; in Naumburg beim 3. Feld-Artillerie-Regiment wollte ich es absolvieren. Adrian seinerseits, der aus irgendwelchen Gründen, sei es wegen Schmalheit oder seiner habituellen Kopfschmerzen halber, auf unbestimmte Zeit vom Dienst befreit war, hatte vor, einige

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Wochen auf Hof Buchel zu verbringen, um, wie er sagte, die Frage seines Berufswechsels mit seinen Eltern zu beraten. Dabei gab er aber die Absicht zu erkennen, es ihnen so hinzustellen, als handle es sich nur um einen Wechsel der Universität, — gewissermaßen stellte er es vor sich selbst so hin. Er wolle, so würde er ihnen sagen, die Beschäftigung mit der Musik »mehr in den Vordergrund treten lassen« und daher die Stadt aufsuchen, in der der musikalische Mentor seiner Schülerzeit wirke. Nur daß er der Theologie absage, war dabei nicht ausgesprochen. Sich auch auf der Universität wieder einzuschreiben und philosophische Vorlesungen zu hören, um in diesem Fach seinen Doktor zu machen, war in der Tat seine Absicht.
Zum Winter-Semester-Beginn 1905 ging Leverkühn nach Leipzig.

XVI

Daß unser Abschied kühl und gehalten in seinen Formen war, erübrigt sich wohl zu sagen. Kaum kam es dabei zu einem Ins-Auge-Blicken, einem Händedruck. Zu oft in unserem jungen Leben waren wir auseinandergegangen und wieder zusammengetroffen, als daß der Händedruck dabei zwischen uns hätte üblich sein sollen. Er verließ Halle einen Tag früher als ich, den Abend hatten wir zu zweien, ohne Winfried-Leute, in einem Theater verbracht; am nächsten Morgen sollte er reisen, und wir trennten uns auf der Straße, wie wir uns hundertmal getrennt hatten, — wir wandten uns eben nach verschiedenen Seiten. Ich konnte nicht umhin, mein Lebewohl mit der Nennung seines Namens zu betonen, — des Vornamens, wie es mir natürlich war. Er tat das nicht. »So long«, sagte er nur, — er hatte die Redensart von Kretzschmar und benutzte sie auch nur spöttisch-zitatweise, wie er überhaupt für das Zitat, die erinnernde wörtliche Anspielung auf irgend etwas und irgend jemanden einen ausgesprochenen Geschmack hatte; fügte noch

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einen Scherz über die martialische Lebensepisode hinzu, der ich entgegensah, und ging seiner Wege.
Er hatte ja recht, die Trennung nicht zu schwerzunehmen. Spätestens übers Jahr, wenn meine militärische Dienstzeit abgelaufen, würde man da oder dort wieder zusammentreffen. Und doch war es gewissermaßen ein Abschnitt, das Ende einer Epoche, der Beginn einer neuen, und wenn er das nicht zu beachten schien, — ich machte es mir mit einer gewissen erregten Wehmut bewußt. Dadurch, daß ich in Halle zu ihm gestoßen war, hatte ich sozusagen unserer Schülerzeit eine Verlängerung gegeben; wir hatten dort nicht viel anders gelebt als in Kaisersaschern. Auch die Zeit, da ich schon Student und er noch auf der Schule gewesen war, konnte ich nicht in Vergleich stellen mit der jetzt eintretenden Veränderung. Ich hatte ihn damals in dem vertrauten Rahmen der Vaterstadt und des Gymnasiums zurückgelassen und war alle Augenblicke dort wieder bei ihm eingekehrt. Erst jetzt, so schien es mir, lösten sich unsere Existenzen voneinander ab, begann für jeden von uns das Leben auf den eigenen zwei Beinen, und ein Ende sollte es haben mit dem, was mir doch so notwendig (wenn auch zwecklos) erschien, und was ich wieder nur mit denselben Worten, wie weiter oben, bezeichnen kann: nicht mehr sollte ich wissen, was er tat und erfuhr, nicht mehr mich neben ihm halten können, um auf ihn acht-, ein unverwandtes Auge auf ihn zu haben, sondern mußte ihm von der Seite gehen gerade in dem Augenblick, wo mir die Beobachtung seines Lebens, obgleich sie gewiß an diesem nichts ändern konnte, am allerwünschenswertesten schien, nämlich wo er die gelehrte Laufbahn verließ, »die Heilige Schrift unter die Bank legte«, um mich seines Ausdrucks zu bedienen, und sich ganz der Musik in die Arme warf.
Das war ein bedeutender, für mein Gefühl eigentümlich verhängnishaft geprägter Entschluß, der, gewissermaßen unter Annullierung der Zwischenzeit, an weit zurückliegende Augenblicke unseres gemeinsamen Lebens wieder anknüpfte, deren Andenken ich im Herzen trug: an die Stunde, wo ich den Knaben

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am Harmonium seines Onkels experimentierend betroffen hatte, und, noch weiter zurück, an unser Kanon-Singen mit der StallHanne unter der Linde. Mir erhob er freudig das Herz, dieser Entschluß, — und preßte es zugleich ängstlich zusammen. Ich kann das Gefühl nur dem Leibziehen vergleichen, das man als Kind auf der sehr hoch ausschwingenden Schaukel erprobt, und in dem Jauchzen und Beklemmung des Fluges sich mischen. Die Rechtmäßigkeit, Notwendigkeit, der richtigstellende Charakter des Schrittes, und daß die Theologie nur ein Ausweichen vor ihm, eine Dissimulation gewesen war, das alles war mir klar, und stolz war ich darauf, daß mein Freund nicht länger anstand, sich zu seiner Wahrheit zu bekennen. Überredung freilich war nötig gewesen, ihn zu dem Bekenntnis zu bringen, und, so außerordentliche Resultate ich mir davon versprach, — ich fand es beruhigend in aller freudigen Beunruhigung, mir sagen zu können, daß ich an der Überredung keinen Teil gehabt, — höchstens durch ein gewisses fatalistisches Verhalten, durch Worte wie »Ich denke, du weißt es selbst«, ihr allenfalls Sukkurs geleistet hatte. —
Hier lasse ich einen Brief folgen, den ich zwei Monate nach meinem Dienstantritt in Naumburg von ihm erhielt, und den ich mit Empfindungen las, wie sie wohl eine Mutter bei solchen Mitteilungen eines Kindes bewegen mögen, — nur daß man freilich einer Mutter dergleichen schicklich vorenthält. Ich hatte ihm etwa drei Wochen zuvor, noch unkundig seiner Adresse, über das Hase'sche Konservatorium zu Händen des Herrn Wendell Kretzschmar geschrieben, ihm von meinen neuen und rauhen Zuständen berichtet und ihn gebeten, doch auch mich, sei es noch so kurz, über sein Sichbehagen und -befinden in der großen Stadt und über die Organisation seiner Studien gefälligst ein wenig ins Bild zu setzen. Seiner Antwort schicke ich nur noch voraus, daß ihre altertümliche Ausdrucksweise natürlich parodisch gemeint und Anspielung auf skurrile Hallenser Erfahrungen, das sprachliche Gebaren Ehrenfried Kumpfs ist, — zugleich aber auch Persönlichkeitsausdruck und Selbststilisierung, Kundgebung eigener innerer Form und

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Neigung, die auf eine höchst kennzeichnende Weise das Parodische verwendet, sich dahinter verbirgt und erfüllt.
Er schrieb:

»Leipzig, Freitags nach Purificationis 1905
In der Petersstraße, das 27. Haus

Ehrbar, hochgelahrter, lieber, günstiger Herr Magister undBallisticus!
Wir danken uns gar freundlich für Euer Sorgen und Schreiben, und daß Ihr mir von Euren jetzigen schmucken, dummen und harten Bewandtnissen, Eurem Springen, Striegeln, Putzen und Knallen anschauliche und hochkomische Zeitung thatet. Hat uns alles innig gelächert, insonderheit der Unteroffizier, der, wie er Euch auch hobelt und rülpt, so große Bewunderung für Euere hohe Erziehung und Bildung hat, und dem Ihr in der Cantine alle Versmaße nach Füßen und Moren habt aufzeichnen müssen, weil ihn diese Kenntnis der Gipfel geistiger Veredelung dünkt. Will dir dafür, wenn ich auslange, mit einer recht schimpflichen Facetie und Büffelposse erwidern, die mir hie zugestoßen, daß du auch was zu wundern und lachen habest. Sage dir nur erst mein freundlich Hertz und guten Willen und verhoffe, daß du solche Ruthe fast fröhlich und gerne leidest, wird dir in seiner Zeit wohl davon geholfen werden, daß du am Ende mit Knöpfen und Tressen als ein Reserve-Wachtmeister daraus hervorgehest.
Hie nun heißt es: >Gott vertrauen, landt und leut beschauen, thut niemand gerauen.< Ist an der Pleiße, Parthe und Elster doch unleugbar ein ander Dasein und geht ein anderer Puls als an der Saala, weil nämlich ein ziemlich groß Volk hier versammlet ist, mehr als siebenhunderttausend, was von vornherein zu einer gewissen Sympathie und Duldung stimmt, wie der Prophet schon für Ninives Sünde ein wissend und humorhaft verstehend Herz hat, wenn er entschuldigend sagt: >Solche große Stadt, darinnen mehr als hunderttausend Menschen.< Da magstu denken, wie's erst bei siebenhunderttausend Nachsicht erheischend zugeht, wo sie in den Messe-Zeiten, von deren

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herbstlicher ich als Neu-Kömmling eben noch eine Probe hatte, aus allen Teilen Europas, dazu aus Persien, Armenien und anderen asiatischen Ländern noch erklecklichen Zustrom haben.
Nicht als ob mir dies Ninive sonderlich gefiele, ist gewiß nicht die schönste Stadt meines Vaterlandis, Kaisersaschern ist schöner, hat aber auch leichter schön sein und würdig, da es nichts weiter als alt und still zu sein braucht und keinen Puls hat. Ist schon prächtig gebaut, mein Leipzig, recht wie aus einem teueren Steinbaukasten, und dazu reden die Leute überaus teuflisch gemein, daß man vor jedem Laden scheut, ehe man was erhandelt, — ist, als ob unser sanft verschlafenes Thüringisch aufgeweckt wäre zu einer SiebenhunderttausendMann-Frechheit und Ruchlosigkeit des Maulwerks mit vorgeschobenem Unterkiefer, greulich, greulich, aber bewahre Gott, gewißlich nicht böse gemeint und mit Selbstverspottung vermischt, die sie sich leisten können auf Grund ihres Weltpulses. Centrum musicae, centrum des Druckwesens und der Buchgremplerei, hochleuchtende universitet, — übrigens baulich zersplittert: das Hauptgebäude ist am Augustusplatz, die Bibliothek beim Gewandhaus, und zu den unterschiedlichen Facultäten gehören besondre Collegiengebäude, wie zu der philosophischen das Rothe Haus an der Promenade und zur juristischen das Collegium Beatae Virginis, in meiner Petersstraße, wo ich sogleich,nur frisch vom Hauptbahnhof, auf dem ersten Weg indie Stadt, passende Herberg und Unterkunft fand. Kam am frühen Nachmittag an, ließ mein Sach in der Niederlage, ging wie geführt hieher, las den Zettel am Regenrohr, schellte und war gleich mit der dicken, teuflisch redenden Vermieterin handelseins von wegen der beiden Gezimmer im Erdgeschoß. War noch so früh an der Zeit danach, daß ich den Tag noch in erster Ankunftslaune beinahe die ganze Stadt besah, — diesmal wirklich geführt, nämlich von dem Dienstmann, der mein Felleisen vom Bahnhof geholt: daher eben zu letzten der Schwanck und das Speiwerk, davon ich geredt und dir vielleicht noch erzählen will.
Wegen des Klavizimbels hat die Dicke auch keine Faxen gemacht; sie sind's gewöhnt hier. Liege ihr auch nicht allzuviel

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in den Ohren damit, denn ich's vornehmlich theoretisch treibe zur Zeit, mit Büchern und Schreibzeug, die Harmoniam und den punctum contra punctum, ganz auf eigene Faust, ich will sagen: unter Aufsicht und Maßregelung amici Kretzschmars, dem ich das Geübte und Gemachte alle paar Tag zur Gut- und Schlechtheißung hintrage. Hat sich baß gefreut, der Mann, wie ich kam, und mich in die Arme geschlossen, denn ich ihm seine Zuversicht nicht wollen hindern. Will auch nichts wissen für mich vom Konservatorium, weder vom großen noch von dem Haseschen, wo er lehrt; war, sagt er, keine Atmosphäre für mich, sondern solls eher machen wie Vater Haydn, der überall keinen praeceptor gehabt, sondern sich den Gradus ad Parnassum von Fux und etwelche Musik von damals, insonderheit des Hamburger Bach, verschafft und sich daraus brav das Handwerck erübt. Unter uns gesagt, macht die Harmonielehre mir viel Gähnens, da ich doch bei dem Kontrapunkt sofort lebendig werde, nicht genug kurtzweiliger Bossen auf diesem Zauberfelde anstellen kann, mit wohl-lustbarlicher Versessenheit die nicht endenden Probleme löse und schon einen ganzen Stapel schnurriger Canon- und Fugen-Studien zusammengeschrieben, auch mir vom Meister manches Lob dafür geholt habe. Das ist produktive, Phantasie und Erfindung aufrufende Arbeit, da das Dominospiel mit den Akkorden ohne Thema meim Bedünken nach der Welt weder zu sieden noch zu braten taugt. Sollte man nicht alldas von Vorhalten, Durchgangsnoten, Modulation, Vorbereitungen und Auflösungen viel besser in praxi, vom Hören, Erfahren und Selbstfinden lernen, denn aus dem Buch? Überhaupt nun aber und per aversionem ist's eine Narrheit, die mechanische Trennung von Kontrapunkt und Harmonie, sintemal sie einander so unlöslich durchdringen, daß man nicht jedes für sich, sondern nur das Ganze, nämlich Musik lehren kann, — sofern man es kann. Kretzschmar gibt mirs auch zu und sagt selbst, daß man von allem Anfang der Rolle gerecht werden soll, die das Melodische bei der Entstehung guter Verbindungen spielt. Die meisten Dissonanzen, sagt er, sind gewiß eher durch das Melodische in die Harmonie gelangt als durch harmonische Kombination.
Bin also fleißig, zelo virtutis, ja fast überladen und übermengt mit Sachen, da noch auf der Hohen Schul Geschichte der Philosophie höre bei Lautensack und Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften sowie Logik bei dem berühmten Bermeter. — Vale. Iam satis est. Hiemit dem

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lieben Gotte befohlen, der Euch und alle unschuldigen Herzen behüte. >Ihr ganz ergebener Dienen, hieß es zu Halla. — Mit dem Schwanck und Bossen und wegen dessen, was zwischen mir und dem Satan vorgeht, hab ich dich viel zu neugierig gemacht: war nichts weiter damit, als daß jener Dienstmann am ersten Tag gegen die Nacht mich irreführte, — so ein Kerl, einen Strick um den Leib, mit roter Mütze und Messingschild, im Wetterumhang, teuflisch redend wie alle Welt dahier mit gesträubtem Unterkiefer, sah meiner Meinung nach entfernt unserem Schleppfuß ähnlich von wegen des Bärtchens, sah ihm sogar recht ähnlich, wenn ich's bedenk, oder ist ihm seitdem in meiner Erinnerung ähnlicher worden, — übrigens stärker und dicker war er von der Gose. Stellt sich mir auch als Fremdenführer vor und wies sich als solcher aus durch ein Messingschild und durch zwei, drei englische und französische Brocken, teuflisch gesprochen, peaudif ul puilding und antiquidé exdremement indéressant.
Item, wir wurden der Sache eins, und hat der Kerl mir zwei Stunden lang alles geeigt und gezeigt, mich überall hingeführt: zu der Pauluskirchen mit wunderlich gekehltem Kreuzgang, zu der Thomaskirchen, wegen Johann Sebastians, und zu seinem Grabe in der Johanniskirchen, wo auch das Reformationsdenkmal ist und das neue Gewandhaus. Lustig wars in den Straßen, denn, wie ich zuvor geredt, währte noch gerade die Herbstmesse, und allerlei Fahnen und Tücher mit Anpreisungen von Pelzwerk und anderen. Waren hingen aus den Fenstern an den Häusern herunter, war auch ein groß Gewimmel in allen Gassen, sonderlich in der innersten Stadt, beim alten Rathaus, wo mir der Kerl das Königshaus und Auerbachs Hof und den stehengebliebenen Turm der Pleißenburg zeigte, — Luther hielt da seine Disputation mit Eck. Und nun erst das Geschieb und Gewühl in den engen Straßen hinter dem Marktplatz, altertümlich, mit steilen Dachschrägen, durch gedeckte Höfe und Gänge, an denen Speicher und Keller liegen, in die Kreuz und Quer labyrinthisch verbunden. Das ist alles mit Waren vollgepfropft, und die Leute, die sich da drängen, sehen dich wohl mit exotischen Augen an

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und reden in Zungen, von denen du nie einen Laut gehört. War recht aufregend, und du fühltest den Puls der Welt dir im eigenen Leibe schlagen.
Allgemach dunkelt es, Lichter gingen an, leerten sich auch die Gassen, und ich war müde und hungrig. Sollt mir zuguterletzt ein Gasthaus zeigen zum Essen, sag ich dem Führer. Ein gutes? fragt er und blinzelt. Ein gutes, sag ich, wenns nicht zu teuer. Führt er mich vor ein Haus in einer Gasse hinter der Hauptstraße, — war ein Geländer aus Messing an den Stufen zur Thür, just so blitzend wie sein Mützenschild, und eine Laterne über der Thür, just so rot wie die Mütze des Kerls. Guten Appetit wünscht er mir, wie ich ihn ausgezahlt, und macht sich abwegs. Ich schelle, die Thür geht von selber auf, und auf dem Flur kommt mir eine geputzte Madam entgegen, mit rosinfarbenen Backen, einen Rosenkranz wachsf arbener Perlen auf ihrem Speck, und begrüßt mich fast züchtiger berden, hocherfreut flötend und scharmutzierend, wie einen Langerwarteten, komplimentiert mich danach durch Portieren in ein schimmernd Gemach mit eingefaßter Bespannung, einem Kristall-Lüster, Wandleuchtern vor Spiegeln, und seidnen Gautschen, darauf sitzen dir Nymphen und Töchter der Wüste, sechs oder sieben, wie soll ich sagen, Morphos, Glasflügler, Esmeralden, wenig gekleidet, durchsichtig gekleidet, in Tüll, Gaze und Glitzerwerk, das Haar lang offen, kurzlockig das Haar, gepuderte Halbkugeln, Arme mit Spangen, und sehen dich mit erwartungsvollen, vom Lüster gleißenden Augen an.
Mich sehen sie an, nicht dich. Hat mich der Kerl, der GoseSchleppfuß in eine Schlupfbude geführt! Ich stand und verbarg meine Affecten, sehe mir gegenüber ein offen Klavier, einen Freund, geh über den Teppich drauf los und schlage im Stehen zwei, drei Akkorde an, weiß noch, was es war, weil mir das Klangphänomen gerade im Sinne lag, Modulation von H- nach C-Dur, aufhellender Halbton-Abstand wie im Gebet des Eremiten im Freischütz-Finale, bei dem Eintritt von Pauke, Trompeten und Oboen auf dem Quartsextakkord von C. Weiß es im Nachher, wußte es aber damals nicht, sondern schlug eben nur an. Neben mich stellt

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sich dabei eine Bräunliche, in spanischem Jäckchen, mit großem Mund, Stumpfnase und Mandelaugen, Esmeralda, die streichelt mir mit dem Arm die Wange. Kehr ich mich um, stoß mit dem Knie die Sitzbank bei Seite und schlage mich über den Teppich zurück durch die Lusthölle, an der schwadronierenden Zatzenmutter vorbei, durch den Flur und die Stufen hinab auf die Straße, ohne das Messinggeländer nur anzufassen.
Da hast du den Fetzen, so mir begegnete, nach der lenge erzält, zum Entgelt für den brüllenden Rottenführer, den du artem metrificandi lehrst. Amen hiemit und betet für mich! Nur ein Gewandhaus-Konzert bis dato gehört mit Schumanns Dritter als piece de resistance. Ein Kritiker von damals rühmte dieser Musik »umfassende Weltanschauung< nach, was sehr nach unsachlichem Geschwätz klingt, und worüber denn auch die Klassizisten sich weidlich lustig machten. Hatte aber doch seinen guten Sinn, da es die Standeserhöhung bezeichnet, die Musik und Musiker der Romantik verdanken. Sie hat die Musik aus der Sphäre eines krähwinkligen Spezialistentums und der Stadtpfeiferei emanzipiert und sie mit der großen Welt des Geistes, der allgemeinen künstlerisch-intellektuellen Bewegung der Zeit in Kontakt gebracht, — man sollt es ihr nicht vergessen. Von dem letzten Beethoven und seiner Polyphonie geht das alles aus, und ich finde es außerordentlich vielsagend, daß die Gegner der Romantik, das heißt: einer aus dem bloß Musikalischen ins allgemein Geistige hinaustretenden Kunst, immer auch Gegner und Bedauerer der Beethoven'schen Spätentwicklung waren. Hast du je darüber nachgedacht, wie anders, wieviel leidend-bedeutender die Individualisierung der Stimme in seinen höchsten Werken sich ausnimmt als in der älteren Musik, wo sie gekonnter ist? Es gibt Urteile, die durch ihre krasse, den Urteilenden kräftig kompromittierende Wahrheit belustigen. Händel sagte von Gluck: »Mein Koch versteht mehr vom Kontrapunkt als er<, ein mir teures Kollegenwort. Ein kritisch unverächtlicher Franzose, glühender Bewunderer Beethovens bis zur IX. Symphonie, erklärte um 1850, in diesem Werk eines ermatteten Geistes herrsche die finstere Pedanterie eines talentlosen Kontrapunktisten. Kennst du die humoristische Begeisterung, mit der solche treffenden Fehlurteile mich erfüllen? Nichts ist wahrer, als daß Beethoven es in der Fuge nie zu der technischen Sicherheit, Fertigkeit, Leichtigkeit brachte, über die Mozart gebot. Eben darum besitzt seine Polyphonie eine Geistigkeit, die das Musikalische überwächst und erweitert.
Mendelssohn, für den ich, wie du weißt, viel übrig habe, fing sozusagen mit Beethovens dritter Periode, i. e. mit dem mehrstimmigen Stil gleich an, und das war mehr und anderes als Zelter- Schule. Alles, was ich gegen ihn einzuwenden habe, ist, daß ihm die Polyphonie zu leicht wurde. Er ist, trotz Elfen und Nıxen, ein Klassiker.

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Spiele viel Chopin und lese über ihn. Ich liebe das Engelhafte seiner Gestalt, das an Shelley erinnert, das eigentümlichund sehr geheimnisvoll Verschleierte, Unzulassende, Sichentziehende, Abenteuerlose seines Daseins, das Nichts-wissenWollen, das Ablehnen stofflicher Erfahrung, die sublime Inzucht seiner phantastisch delikaten und verführerischen Kunst. Wie sehr spricht für den Menschen die tief aufmerksame Freundschaft Delacroix', der ihm schreibt: J'espere vous voir ce soir, mais ce moment est capable de me faire devenir fou.< Alles mögliche für den Wagner der Malerei! Aber nicht ganz weniges gibt's ja bei Chopin, was Wagner, nicht nur harmonisch, sondern im Allgemein-Seelischen, mehr als antizipiert, nämlich gleich überholt. Nimm das cis-Moll-Notturno opus 27 No. 1 und den Zwiegesang, der angeht nach der enharmonischen Vertauschung von Cis- mit Des-Dur. Das übertrifft an desperatem Wohlklang alle Tristan-Orgien — und zwar in klavieristischer Intimität, nicht als Hauptschlacht der Wollust und ohne das Corridahafte einer in der Verderbtheit robusten Theatermystik. Nimm vor allem auch sein ironisches Verhältnis zur Tonalität, das Vexatorische, Vorenthaltende, Verleugnende, Schwebende, die Verspottung des Vorzeichens. Es geht weit, belustigend und ergreifend weit...«
Mit dem Ausruf »Ecce epistola!« schließt der Brief. Hinzugefügt ist: »Daß du dies hier sofort vernichtest, versteht sich.« Die Unterschrift ist ein Initial, dasjenige des Familiennamens, das L, nicht das A. —



XVII

Der kategorischen Weisung, diesen Brief zu vernichten, bin ich nicht gefolgt — wer will es einer Freundschaft verargen, welche das darin auf Delacroix' Freundschaft für Chopin gemünzte Beiwort »tief aufmerksam« für sich in Anspruch nehmen darf? Ich gehorchte der Zumutung anfangs darum nicht, weil ich das Bedürfnis hatte, das zuerst nur rasch durchflogene Schriftstück wieder und wieder — nicht sowohl zu lesen, als es stilkritisch und psychologisch zu studieren, und mit der Zeit

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schien mir dann der Augenblick, es zu zerstören, versäumt; ich lernte, es als ein Dokument zu betrachten, von dem der Vernichtungsbefehl ein Bestandteil war, so daß er eben durch seinen dokumentarischen Charakter sozusagen sich selber aufhob.
Soviel war mir von Anfang an gewiß: zu der Vorschrift am Schluß hatte nicht der ganze Brief Anlaß gegeben, sondern nur ein Teil davon, die sogenannte Facetie und Büffelposse, das Erlebnis mit dem fatalen Dienstmann. Aber wiederum: dieser Teil war der ganze Brief; um seinetwillen war er geschrieben worden—nicht zu meiner Erheiterung; zweifellos hatte der Schreiber gewußt, daß der »Schwanck« nichts Erheiterndes für mich haben werde; sondern zur Entlastung von einem erschütternden Eindruck, für welche ich, der Kindheitsfreund, allerdings die einzige Stelle war. Alles übrige war Zutat, Einhüllung, Vorwand, Aufschub und, nachher, ein gesprächiges Wiederzudecken mit musikkritischen Apercus, als ob nichts gewesen wäre. Auf die Anekdote, um ein sehr sachliches Wort zu gebrauchen, steuert alles zu; sie steht im Hintergrunde von Anfang an, meldet sich an in den ersten Zeilen und wird verschoben. Noch unerzählt spielt sie hinein in das Scherzen mit der großen Stadt Ninive und dem skeptisch-entschuldigenden Wort des Propheten. Sie ist nahe daran, erzählt zu werden, dort, wo zum erstenmal des Dienstmannes Erwähnung geschieht — und verschwindet aufs neue. Der Brief wird scheinbar geschlossen, bevor sie berichtet ist — »Iam satis est« —, und als wäre sie dem Schreiber fast aus dem Sinn gekommen, als brächte nur der zitierte Gruß des Schleppfuß sie ihm wieder in Erinnerung, wird sie, >eben noch rasch< sozusagen, unter sonderbarer Rückbeziehung auf des Vaters Schmetterlingskunde, mitgeteilt, darf aber nicht den Schluß des Briefes bilden, sondern es werden Betrachtungen über Schumann, die Romantik, Chopin darangehängt, die offenbar den Zweck verfolgen, ihr das Gewicht zu nehmen, sie wieder in Vergessenheit zu bringen, — oder richtiger wohl: die sich von Stolzes wegen den Anschein geben, als verfolgten sie diesen Zweck; denn ich glaube

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nicht, daß wirklich die Absicht bestand, ich, der Leser, möchte über das Kernstück des Briefes hinweglesen.
Sehr merkwürdig war mir schon bei zweiter Durchsicht, daß die Stilgebung, die Travestie oder persönliche Adaption des Kumpf'sehen Altdeutsch nur vorhält, bis jenes Abenteuer erzählt ist, danach aber achtlos fallengelassen wird, so daß die Schlußseiten ganz davon entfärbt sind und eine rein moderne sprachliche Haltung zeigen. Ist es nicht, als hätte der archaisierende Ton seinen Zweck erfüllt, sobald die Geschichte der Fehlführung auf dem Papier steht, und danach aufgegeben wird, nicht sowohl, weil er für die ablenkenden Schlußbetrachtungen nicht paßt, sondern weil er, vom Datum an, nur eingeführt war, um die Geschichte darin erzählen zu können, die dadurch die ihr angemessene Atmosphäre erhält? Und welche denn? Ich will es aussprechen, so wenig die Bezeichnung, die ich im Sinne habe, auf eine Farce anwendbar scheint. Es ist die religiöse Atmosphäre. Dies war mir klar: wegen seiner historischen Affinität zum Religiösen war das Reformationsdeutsch für einen Brief gewählt worden, der mir diese Geschichte bringen sollte. Wie hätte ohne das Spiel mit ihm das Wort hingeschrieben werden können, das doch hingeschrieben sein wollte: »Betet für mich!«? Es gab kein besseres Beispiel für das Zitat als Deckung, die Parodie als Vorwand. Und kurz davor steht ein anderes Wort, das mir schon bei erstem Lesen in die Glieder fuhr und ebenfalls nichts mit Humoreske zu tun hat, sondern ein ausgemacht mystisches, also religiöses Gepräge trägt: das Wort »Lusthölle«.
Wenige werden sich durch die Kühlheit der Analyse, der ich soeben und damals gleich Adrians Brief unterzog, über die wirklichen Gefühle haben täuschen lassen, mit denen ich ihn wieder und wieder las. Analyse hat notwendig den Anschein der Kühle, auch wenn sie im Zustande tiefer Erschütterung geübt wird. Erschüttert aber war ich, mehr noch, ich war außer mir. Meine Wut über den obszönen Streich des Gose-Schleppfuß kannte keine Grenzen, — und darin möge der Leser keine Kennzeichnung meiner selbst, kein Merkmal meiner eigenen

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Prüderie sehen — ich war niemals prüde und hätte, wäre mir jene Leipziger Nasführung zugestoßen, schon gute Miene dazu zu machen gewußt —; sondern er möge durch meine Gefühle Adrians Sein und Wesen gekennzeichnet finden, für welches freilich das Wort >Prüderie< nun auch wieder das albern unpassendste wäre, das aber selbst der Derbheit scheue Rücksicht und den Wunsch nach Schutz und Schonung hätte einflößen können.
An meiner Bewegung hatte ja keinen geringen Anteil die Tatsache, daß er mir das Abenteuer, und zwar Wochen nachdem es ihm zugestoßen, überhaupt mitteilte, was die Durchbrechung einer sonst unbedingten und von mir stets respektierten Verschlossenheit bedeutete. So sonderbar es in Ansehung unserer alten Kameradschaft klingen mag, — das Gebiet der Liebe, des Geschlechtes, des Fleisches war niemals in unseren Gesprächen auf eine irgend persönliche und intime Weise berührt worden; niemals anders als durch das Medium von Kunst und Literatur, anläßlich der Manifestationen der Leidenschaft in der Sphäre des Geistes, hatte dies Wesen in unseren Austausch hineingespielt, und dabei waren sachlich wissende Äußerungen von seiner Seite gefallen, bei denen seine Person völlig aus dem Spiele blieb. Wie hätte ein Geist wie der seine dies Element nicht einschließen sollen! Daß er es tat, dafür waren Beweis genug seine Wiedergabe gewisser von Kretzschmar übernommener Lehren über die Unverächtlichkeit des Sinnlichen in der Kunst, und nicht nur in dieser; dann manche seiner Bemerkungen über Wagner und solche spontanen Äußerungen wie die über die Nudität der menschlichen Stimme und ihre geistige Kompensation durch ausgeklügeltste Kunstformen in der alten Vokal-Musik. Dergleichen hatte nichts Jüngferliches; es zeugte von einem freien und gelassenen Ins-Auge-Fassen der Welt der Begierde. Aber wiederum war es nicht charakteristisch für mich, sondern für ihn, wenn ich jedesmal bei solchen Wendungen des Gesprächs etwas wie einen Choc, eine Bestürzung, ein leises Sichzusammenziehen meines Innern empfunden hatte. Es war, um mich emphatisch auszudrücken, wie

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wenn man einen Engel über die Sünde sich ergehen hörte: auch bei einem solchen würde man sich keiner Frivolität und Frechheit, keiner banalen Lustigkeit im Verhalten zum Gegenstande versehen müssen und wäre doch, bei aller Einsicht in sein geistiges Anrecht auf ihn, verletzt und zu der Bitte versucht: »Schweig, Lieber! Dein Mund ist zu rein und streng für diese Dinge.«
Tatsächlich war Adrians Abneigung gegen laszive Plumpheiten von verbietender Ausgesprochenheit, und ich kannte genau das verächtlich angewiderte und abwehrende Sichverziehen seines Gesichts, wenn dergleichen auch nur im Anzüge war. Zu Halle, im Winfried-Kreise, war er vor solchen Angriffen auf sein Feingefühl so ziemlich sicher gewesen; die geistliche Wohlanständigkeit —des Wortes wenigstens — hielt sie hintan. Von Frauen, Weibern, Mädchen, Liebesverhältnissen war zwischen den Commilitonen nicht die Rede. Ich weiß nicht, wie diese jungen Theologen es in der Tat, jeder für sich, damit hielten, ob sie sich alle in Züchten für die christliche Ehe aufsparten. Was mich selbstbetrifft, so will ich nur gestehen, daß ich vom Apfel gekostet hatte und damals sieben oder acht Monate lang Beziehungen zu einem Mädchen aus dem Volk, einer Küferstochter, unterhielt, — ein Verhältnis, das vor Adrian geheimzuhalten schwer genug war (ich glaube wirklich nicht, daß er es beachtete), und das ich nach dieser Frist auf gute Art wieder löste, da der Bildungstiefstand des Dinges mich ennuyierte und ich mir nichts mit ihr zu sagen hatte als immer nur das eine. Nicht sowohl Heißblütigkeit als Neugier, Eitelkeit und der Wunsch, den antikischen Freimut im Verhalten zum Geschlechtlichen, der zu meinen theoretischen Überzeugungen gehörte, in die Praxis zu übersetzen, hatten mich vermocht, diese Bindung einzugehen.
Gerade dies Element nun aber, das einer geistreichen Vergnügtheit, wie ich sie wenigstens, mag sein ein wenig schulmäßig, prätendierte, fehlte der Stellung Adrians zu der fraglichen Sphäre vollkommen. Ich will nicht von christlicher Verhemmtheit sprechen und nicht das teils kleinbürgerlich-moralische,

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teils mittelalterlich-sündenscheue Kennwort >Kaisersaschern< darauf anwenden. Das würde der Wahrheit sehr unzulänglich gerecht und hätte nicht ausgereicht, die liebende Rücksicht, den Haß auf jede mögliche Verletzung hervorzurufen, die seine Haltung mir einflößte. Wenn man sich ihn in einer >galanten< Situation überhaupt nicht vorstellen konnte — und wollte —, so lag das an dem Harnisch von Reinheit, Keuschheit, intellektuellem Stolz, kühler Ironie, der ihn umgab und der mir heilig war, — heilig auf eine gewisse schmerzliche und heimlich beschämende Weise. Denn schmerzlich und beschämend — außer etwa für die Bosheit — ist der Gedanke, daß Reinheit dem Leben im Fleische nicht gegeben ist, daß der Trieb den geistigsten Stolz nicht scheut und der verweigerndste Hochmut der Natur seinen Zoll entrichten muß, so daß man nur hoffen kann, diese Demütigung ins Menschliche, und damit denn auch ins Tierische, nach Gottes Willen, möge sich in der schonend verschöntesten, seelisch gehobensten Form, verhüllt von Liebeshingebung, von läuternder Empfindung vollziehen.
Muß ich hinzufügen, daß eben hierauf in Fällen wie dem meines Freundes am wenigsten Hoffnung besteht? Die Verschönung, Verhüllung, Veredelung, von der ich sprach, ist das Werk der Seele, einer mittleren, vermittelnden und stark poetisch angehauchten Instanz, in der Geist und Trieb einander durchdringen und sich auf eine gewisse illusionäre Weise versöhnen, — einer ganz eigentlich sentimentalen Lebensschicht also, in der, wie ich gestehe, meine eigene Menschlichkeit sich recht wohl behagt, die aber nicht nach dem strengsten Geschmacke ist. Naturen wie Adrian haben nicht viel >Seele<. Es ist eine Tatsache, über die tief beobachtende Freundschaft mich belehrt hat, daß die stolzeste Geistigkeit dem Tierischen, dem nackten Triebe am allerunvermitteltsten gegenübersteht, ihm am allerschnödesten preisgegeben ist; und das ist der Grund für die sorgende Apprehension, die meinesgleichen durch eine Natur wie Adrians auszustehen hat, — es ist auch der Grund, weshalb ich das verdammte Abenteuer, von dem er mir berichtete, als etwas so erschreckend Symbolisches empfand.

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Ich sah ihn stehen auf der Schwelle des Freudensalons und, nur langsam begreifend, auf die harrenden Wüstentöchter blicken. Wie durch die Fremde von Mütze's Gastlokal in Halle — ich hatte das Bild so deutlich vor mir — sah ich ihn blind hindurchgehen, auf das Klavier zu, und Akkorde anschlagen, von denen er sich erst nachträglich Rechenschaft geben sollte. Ich sah die Stumpfnasige neben ihm — Hetaera esmeralda — gepuderte Halbkugeln im spanischen Mieder —, sah sie mit dem nackten Arm seine Wange streicheln. Heftig, über den Raum hinweg und in der Zeit zurück, verlangte es mich dorthin. Ich hatte Lust, die Hexe mit dem Knie von ihm wegzustoßen, wie er den Schemel beiseite stieß, um den Weg ins Freie zu gewinnen. Tagelang spürte ich die Berührung ihres Fleisches auf meiner eigenen Wange und wußte dabei mit Widerwillen, mit Schrecken, daß sie seither auf der seinen brannte. Wiederum kann ich nur bitten, es nicht als bezeichnend für mich, sondern für ihn zu betrachten, daß ich außerstande war, den Vorfall von der heiteren Seite zu nehmen. Es war absolut nichts Heiteres daran. Wenn es mir im entferntesten gelungen ist, dem Leser von der Natur meines Freundes ein Bild zu geben, so muß er mit mir das unbeschreiblich Schändende, das höhnisch Erniedrigende und das Gefährliche dieser Berührung empfinden.
Daß er bis dato kein Weib >berührt< hatte, war und ist mir eine unumstößliche Gewißheit. Nun hatte das Weib ihn berührt — und er war geflohen. Auch an dieser Flucht ist nicht eine Spur des Komischen, ich kann es dem Leser versichern, falls er geneigt sein sollte, dergleichen darin zu suchen. Komisch allenfalls war dieses Entweichen in dem bitter-tragischen Sinn der Vergeblichkeit. In meinen Augen war Adrian nicht entkommen, und sehr vorübergehend, gewiß, hat er sich als ein Entkommener gefühlt. Der Hochmut des Geistes hatte das Trauma der Begegnung mit dem seelenlosen Triebe erlitten. Adrian sollte zurückkehren an den Ort, wohin der Betrüger ihn geführt.

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XVIII

Bei meiner Darstellung, meinen Berichten möge der Leser nicht fragen, woher denn das einzelne mir so genau bekannt ist, da ich ja nicht immer dabei, dem verewigten Helden dieser Biographie nicht immer zur Seite war. Es ist richtig, daß ich wiederholt durch längere Zeiträume getrennt von ihm lebte: so während meines Militärjahrs, nach dessen Ablauf ich allerdings an der Universität Leipzig meine Studien wieder aufnahm und seinen dortigen Lebenskreis genau kennenlernte. So auch für die Dauer meiner klassischen Bildungsreise, die in die Jahre neunzehnhundertacht und -neun fiel. Nur flüchtig war unsere Wiederbegegnung bei meiner Rückkehr von dieser, als er bereits die Absicht hegte, Leipzig zu verlassen und nach Süddeutschland zu gehen. Und daran schloß sich sogar die längste Periode unserer Trennung: es waren die Jahre, die er, nach einem kurzen Aufenthalt in München, mit seinem Freunde, dem Schlesier Schildknapp, in Italien verbrachte, während ich am BonifatiusGymnasium zu Kaisersaschern zuerst meine Probe-Kandidatur absolvierte und dann in fester Anstellung mein Lehramt ausübte. Erst 1913, als Adrian seinen Wohnsitz im oberbayerischen Pfeiffering genommen hatte und ich nach Freising übersiedelte, gelangte ich wieder in seine Nähe, um dann freilich sein längst verhängnishaft tingiertes Leben, sein zunehmend erregtes Schaffen siebzehn Jahre lang, bis zur Katastrophe von 1930, ohne — oder so gut wie ohne — Unterbrechung unter meinen Augen sich abspielen zu sehen.
Längst war er kein Anfänger mehr im Studium der Musik, ihres seltsam kabbalistischen, zugleich spielerischen und strengen, ingeniösen und tiefsinnigen Handwerks, als er sich zu Leipzig wieder der Leitung, Anweisung, Aufsicht Wendeil Kretzschmars unterstellte. Seine raschen, von einer alles im Fluge auffassenden Intelligenz befeuerten, höchstens von vorgreifender Ungeduld gestörten Fortschritte auf dem Felde des Überlieferbaren, in der Satztechnik, der Formenlehre, der

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Orchestrierung, bewiesen, daß die zweijährige theologische Episode in Halle sein Verhältnis zur Musik nicht gelockert, keine wirkliche Unterbrechung seiner Beschäftigung mit ihr bedeutet hatte. Von seinen eifrigen und gehäuften kontrapunktischen "Übungen hat sein Brief einiges gemeldet. Kretzschmar legte fast noch größeres Gewicht auf die Instrumentationstechnik und ließ ihn, wie schon in Kaisersaschern, viel Klaviermusik, Sonatensätze, selbst Streichquartette orchestrieren, um dann das Geleistete in langen Besprechungen mit ihm zu erörtern, zu bemängeln, zu korrigieren. Er ging so weit, ihn mit der Orchestrierung des Klavierauszuges einzelner Akte von Opern zu beauftragen, die Adrian nicht kannte, und der Vergleich dessen, was der Schüler versucht, der Berlioz, Debussy und die deutsche, österreichische Spät-Romantik gehört und gelesen hatte, mit dem, was Gretry oder Cherubini selbst getan hatten, gab Meister und Lehrling zu lachen. Kretzschmar arbeitete damals an seinem eigenen Bühnenwerk, dem >Marmorbild<, und auch davon gab er dem Adepten eine oder die andere Szene im Particell zur Instrumentierung und zeigte ihm dann, wie er selbst es gehalten, oder wie er es vorhabe, — Anlaß zu reichlichen Debatten, bei denen, versteht sich, in der Regel die überlegene Erfahrung des Meisters das Feld behauptete, einmal aber wenigstens doch die Intuition des Neulings den Sieg davontrug. Denn eine Klangkombination, die Kretzschmar auf den ersten Blick als unklug und mißlich verworfen, leuchtete ihm schließlich als charakteristischer ein, als was er selbst im Sinn gehabt, und bei der nächsten Zusammenkunft erklärte er, Adrians Idee übernehmen zu wollen.
Dieser war weniger stolz darauf, als man denken sollte. Lehrer und Schüler waren nach ihren musikalischen Instinkten und Willensmeinungen im Grunde recht weit auseinander, wie ja in der Kunst fast notwendig der Strebende sich auf die handwerkliche Führung durch ein generationsmäßig schon halb entfremdetes Meistertum angewiesen sieht. Es ist dann nur gut, wenn dieses die heimlichen Tendenzen der Jugend doch errät und versteht, sie allenfalls ironisiert, aber sich hütet, ihrer

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Entwicklung im Wege zu sein. So lebte Kretzschmar der selbstverständlichen, stillschweigenden Überzeugung, daß die Musik ihre endgültig höchste Erscheinungs- und Wirkungsform im Orchestersatz gefunden habe, — was Adrian nicht mehr glaubte. Für seine zwanzig Jahre war, anders als noch für die Älteren, die Gebundenheit der aufs höchste entwickelten Instrumentaltechnik an die harmonische Musik-Konzeption mehr als eine historische Einsicht, — es war bei ihm etwas wie eine Gesinnung daraus geworden, in der Vergangenheit und Zukunft verschmolzen; und sein kühler Blick auf den hypertrophischen Klangapparat des nachromantischen Riesenorchesters; das Bedürfnis nach seiner Kondensierung und seiner Zurückführung auf die dienende Rolle, die er zur Zeit der vorharmonischen, der polyphonen Vokalmusik gespielt; die Neigung zu dieser und also zum Oratorium, einer Gattung, in der der Schöpfer der >Offenbarung S. Johannis< und der >Weheklag pr. Fausti< später sein Höchstes und Kühnstes leisten sollte, — dies alles tat sich sehr früh bei ihm in Wort und Haltung hervor.
Seine Orchestrationsstudien unter Kretzschmars Leitung waren darum nicht weniger eifrig, denn er stimmte diesem darin zu, daß man Errungenes beherrschen müsse, auch wenn man es nicht mehr für wesentlich erachte, und sagte einmal zu mir: Ein Komponist, der den Orchester-Impressionismus satt habe und darum nicht mehr instrumentieren lerne, komme ihm vor wie ein Zahnarzt, der keine Wurzelbehandlung mehr studiere und sich zum Reißbader rückbilde, weil neuestens entdeckt worden sei, daß man von toten Zähnen Gelenkrheumatismus bekommen könne. Dieser sonderbar hergeholte und dabei für die geistige Zeitlage so charakteristische Vergleich blieb dann als oft benutztes kritisches Zitat zwischen uns bestehen, und der durch kunstreichste Wurzelbalsamierung erhaltene >tote Zahn< wurde zum Symbolwort für gewisse Späterzeugnisse orchestralen Paletten-Raffinements, — einschließlich seiner eigenen symphonischen Phantasie >Meerleuchten< die er noch in Leipzig unter Kretzschmars augen, nach einer zusammen mit Rüdiger Schildknapp unternommenen Ferienreise an die Nordsee schrieb, und

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deren halb öffentliche Aufführung Kretzschmar gelegentlich herbeiführte. Es ist ein Stück ausgesuchter Tonmalerei, das von einem erstaunlichen Sinn für berückende, dem Ohr beim ersten Hören fast unenträtselbare Klangmischungen Zeugnis gibt, und ein wohl trainiertes Publikum sah in dem jungen Verfasser einen hochbegabten Fortsetzer der Linie Debussy-Ravel. Er war es nicht und hat sein Leben lang diese Demonstration koloristisch-orchestralen Könnens fast sowenig zu seiner eigentlichen Produktion gerechnet wie die Handgelenklockerungen undSchönschreib-Übungen, deren er sich vorher unter Kretzschmars Aufsicht befleißigte: die sechs- bis achtstimmigen Chöre, die Fuge mit drei Themen für Streichquintett und Klavierbegleitung, die Symphonie, deren Particell er ihm stückweise brachte und deren Instrumentation er mit ihm beriet, die CelloSonate in a-Moll mit dem sehr schönen langsamen Satz, dessen Thema er in einem seiner Brentano-Gesänge wieder aufnehmen sollte. Jenes klangfunkelnde >Meerleuchten< war ein in meinen Augen sehr merkwürdiges Beispiel dafür, wie ein Künstler sein Bestes an eine Sache zu setzen vermag, an die er insgeheim nicht mehr glaubt, und darauf besteht, in Kunstmitteln zu exzellieren, die für sein Bewußtsein schon auf dem Punkte der Verbrauchtheit schweben. »Es ist gelernte Wurzelbehandlung«, sagte er zu mir. »Für Streptokokken-Überschwemmung komm' ich nicht auf.« Daß er das Genre des >Tongemäldes< der musikalischen >Naturstimmung< für gründlich abgestoben erachtete, bewies aber jedes seiner Worte.
Um aber alles zu sagen, so trug schon dies glaubenslose Meisterstück koloristischer Orchesterbrillanz heimlich die Züge der Parodie und der intellektuellen Ironisierung der Kunst überhaupt, die sich in Leverkühns späterem Werk so oft auf eine unheimlich-geniale Weise hervortat. Viele fanden das erkältend, ja zurückstoßend und empörend, und es waren noch die Besseren, wenn auch die Besten nicht, die so urteilten. Die ganz Oberflächlichen nannten es nur witzig und amüsant. In Wahrheit war hier das Parodische die stolze Auskunft vor der Sterilität, mit welcher Skepsis und geistige Schamhaftigkeit,

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der Sinn für die tödliche Ausdehnung des Bereichs des Banalen eine große Begabung bedrohten. Ich hoffe, das richtig zu sagen. Meine Unsicherheit und mein Verantwortungsgefühl sind gleich groß, indem ich Gedanken in Worte zu kleiden suche, die nicht primär meine eigenen sind, sondern die mir nur durch meine Freundschaft für Adrian eingeflößt wurden. Von Mangel an Naivität möchte ich nicht sprechen, denn zuletzt liegt Naivität dem Sein selbst, allem Sein, auch dem bewußtesten und kompliziertesten, zum Grunde. Der fast unschlichtbare Konflikt zwischen der Hemmung und dem produktiven Antriebe mitgeborenen Genies, zwischen Keuschheit und Leidenschaft, — das eben ist die Naivität, aus der ein solches Künstlertum lebt, der Boden für das schwierig-charakteristische Wachstum seines Werkes; und das unbewußte Trachten, der >Begabung<, dem hervorbringenden Impuls das notwendige knappe Übergewicht zu verschaffen über die Hemmungen des Spottes, des Hochmutes, der intellektuellen Scham, — dieses instinktive Trachten regt sich gewiß schon und wird bestimmend in dem Augenblick, wo die rein handwerklichen Vorstudien zur Kunstübung sich mit ersten eigenen, wenn auch selbst noch völlig vorläufigen und vorbereitenden Gestaltungsversuchen zu verbinden anfangen.


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