THOMAS MANN

Copyright 1947 by Thomas Mann
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DOKTOR FAUSTUS
Das Leben des deutschen Tonsetzers
Adrian Leverkühn
erzählt von einem Freunde


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XXV

Das Dokument, auf das in diesen Blättern wiederholt Hinweise geschahen, Adrians geheime Aufzeichnung, seit seinem Abscheiden in meinem Besitz und gehütet als ein teuerer, furchtbarer Schatz, — hier ist es, ich teile es mit. Der biographische Augenblick seiner Einschaltung ist gekommen. Da ich seinem eigenwillig gewählten, mit dem Schlesier geteilten Refugium, worin ich ihn aufgesucht, im Geiste wieder den Rücken gekehrt habe, setzt meine Rede aus, und unmittelbar vernimmt in diesem fünfundzwanzigsten Kapitel der Leser die seine.
Wäre es nur seine? Es ist ja ein Zwiegespräch, das vorliegt. Ein anderer, ganz anderer, ein entsetzlich anderer führt sogar vornehmlich das Wort, und der Schreibende in seinem Steinsaal legt nur nieder, was er von ihm vernahm. Ein Dialog? Ist es in Wahrheit ein solcher? Ich müßte wahnsinnig sein, es zu glauben. Und darum kann ich auch nicht glauben, daß er in tiefster Seele für wirklich hielt, was er sah und hörte: während er es hörte und sah und nachher, als er es zu Papier brachte, — ungeachtet der Zynismen, mit denen der Gesprächspartner ihn von seinem objektiven Vorhandensein zu überzeugen suchte. Gab es ihn aber nicht, den Besucher — und ich entsetze mich vor dem Zugeständnis, das darin liegt, auch nur konditionell und als Möglichkeit seine Realität zuzulassen! —, so ist es grausig zu denken, daß auch jene Zynismen, Verhöhnungen und Spiegelfechtereien aus der eigenen Seele des Heimgesuchten kamen ...
Es versteht sich von selbst, daß ich Adrians Handschrift nicht dem Drucker zu überantworten gedenke. Mit dem eigenen Kiel übertrage ich sie Wort für Wort von dem Notenpapier, das mit seinen schon früher charakterisierten kleinen und altertümlich schnörkelhaften, tiefschwarzen Rundschriftfederzügen, einer Mönchsschrift, möchte man sagen, bedeckt ist, in mein Manuskript. Des Notenpapiers hat er sich bedient offenbar, weil ihm im Augenblick kein anderes zur Hand war, oder weil der Kramladen drunten am Kirchplatz des heiligen Agapitus ihm kein genehmes Schreibpapier bot. Es fallen immer zwei Zeilen auf das obere Fünfliniensystem und zwei auf das BaßSystem; aber auch der weiße Raum dazwischen ist durchweg mit je zwei Schreibzeilen ausgefüllt.

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Nicht mit voller Bestimmtheit ist der Zeitpunkt der Niederschrift auszumachen, denn das Dokument weist kein Datum auf. Soll meine Überzeugung etwas gelten, so ist es keinesfalls nach unserem Besuch in dem Bergstädtchen oder während unseres Aufenthaltes dortselbst abgefaßt. Entweder stammt es aus einer früheren Periode des Sommers, von dem wir drei Wochen mit den Freunden zubrachten, oder es datiert aus dem Sommer vorher, dem ersten, den sie als Gäste der Manardis verlebten. Daß zu der Zeit, als wir einsprachen, das dem Manuskript zugrunde liegende Erlebnis bereits zurücklag, daß Adrian damals das folgende Gespräch schon geführt hatte, ist mir. eine Gewißheit; ebenso, daß die schriftliche Niederlegung unmittelbar im Anschluß an die Erscheinung, am nächsten Tage vermutlich, geschah.
So schreibe ich denn ab, — und ich fürchte, kein Rütteln ferner Explosionen an meiner Klause wird nötig sein, um meine Hand zittern und meine Buchstaben ausfahren zu lassen beim Schreiben . . .

— Weistu was so schweig. Werde schon schweigen, wenn auch schamhalben bloß und um die Menschen zu schonen, ei, aus sozialer Rücksicht. Habe es willens steif und fest, daß mir die Anstandskontrolle der Vernunft bis aufs letzte nicht locker werde. Aber gesehen hab ich Ihn doch, endlich, endlich; war bei mir hier im Saal, hat mich visitiert, unerwartet und doch längst erwartet, bin recht ausgiebig mit Ihm zusprach kommen und hab den einen Ärger nur hinterdrein, nicht gewiß zu sein, wovon ich zitterte die ganze Zeit, ob nur vor Kälte oder vor Ihm. Macht ich mir irgend wohl vor, machte Er mir vor, daß es kalt war, damit ich zittern und mich daran vergewissern möcht, daß Er da war, ernstlich, Einer für sich? Denn doch männiglich weiß, daß kein Narr vor dem eigenen Hirngespinst zittert, sondern ein solches ist ihm gemütlich, und ohne Verlegenheit noch Beben läßt er sich damit ein. Hielt Er mich wohl zum Narren, da Er mir vormacht, durch die Hundskälte, ich sei kein Narr, und Er kein Hirngespinst, denn ich in Furcht und Blödigkeit vor Ihm zitterte? Er ist durchtrieben.

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Weistu was so schweig. Schweige so vor mich hin. Schweige es alles hier aufs Musikpapier nieder, während mein Kumpan in eremo, mit dem ich lache, weit weg von mir im Saal, sich mit translation des lieben Fremden ins heimisch Verhaßte plackt. Denkt, ich komponiere, und wenn er sah, daß ich Worte schreib, würd er denken, daß auch Beethoven das wohl tat.
Hatte den ganzen Tag, schmerzhafte Creatur, mit dem leidigen Hauptweh im Dunkeln gelegen und mehrmals würgen und speien müssen, wie's bei schweren Anfällen ist, aber gegen den Abend kam Besserung unverhofft und fast plötzlich. Konnte die Suppe behalten, die die Mutter mir brachte (>Poveretto!<), trank auch wohlgemut ein Glas von dem Roten danach (>Bevi, bevi!<) und war meiner auf einmal so sicher, daß mir sogar eine Zigarette gönnte. Hätte auch ausgehen können, wie es tags vorher abgesprochen worden. Dario M. wollt uns einführen drunten im Club der höheren Praenestenser Bürger, uns präsentieren, uns die Räume zeigen, das Billard, das Lesezimmer. Wollten den Guten nicht kränken und hatten ihm zugesagt, — was denn nun ausging an Sch. allein, da ich durch den Anfall entschuldigt. Vom Pranzo weg stapft er ohne mich sauren Mundes an Dario's Seite die Gasse hinab zu den Acker-, den Pfahlbürgern, und ich blieb für mich.
Saß allein hier im Saal, nahendt bei den Fenstern, die mit den Läden vermacht, vor mir die Länge des Raums, bei meiner Lampe und las Kierkegaard über Mozarts Don Juan.
Da fühl ich mich auf den Plotz von schneidender Kälte getroffen, so als säße einer im winterwarmen Zimmer und auf einmal ginge ein Fenster auf nach außen gegen den Frost. Kam aber nicht von hinter mir, wo die Fenster sind, sondern fällt mich von vorn an. Rucke auf vom Buch und schau in den Saal, sehe, daß wohl Seh. schon zurückgekehrt, denn ich bin nicht mehr allein: Jemand sitzt im Dämmer auf dem Roßhaarsofa, das mit Tisch und Stühlen nahe der Tür ungefähr mitten im Räume steht, wo wir morgens das Frühstück nehmen, — sitzt in der Sofaecke mit übergeschlagenem Bein, aber es ist nicht Sch., ist ein anderer, kleiner als er, lange so stattlich nicht und über

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haupt kein rechter Herr. Aber fortwährend dringt mich die Kälte an.
»Chi e costà!« ist, was ich rufe mit etwas verschnürter Kehle, aufgestützt mit den Händen den Armen des Stuhls, so, daß das Buch mir von den Knien zu Boden fällt. Antwortet die ruhige, langsame Stimme des anderen, eine gleichsam geschulte Stimme mit angenehmer Nasenresonanz:
»Sprich nur deutsch! Nur fein altdeutsch mit der Sprache heraus, ohn einige Bemäntelung und Gleisnerei. Ich versteh es. Ist gerad recht meine Lieblingssprache. Manchmal versteh ich überhaupt nur deutsch. Hol dir übrigens den Paletot, auch den Hut und das Plaid. Es geht kalt zu dir. Du wirst schnattern, mag es auch nicht zum Verkühlen sein.«
»Wer sagt Du zu mir?« frage ich aufgebracht.
»Ich«, sagt er. »Ich, mit Gunst. Ach, du meinst, weil du niemandem Du sagst, nicht einmal deinem Humoristen, dem Gentleman, außer allein dem Kindgespiel, dem Getreuen, der dich mit Vornamen nennt, du aber nicht ihn? Laß das gut sein. Es ist schon so ein Verhältnis mit uns, zum Du sagen. Wird es nun? Holst du dir etwas Warmes?«
Ich starre ins Halblicht, fasse ihn zornig ins Auge. Ist ein Mann, eher spillerig von Figur, längst nicht so groß wie Sch., aber auch kleiner als ich, — eine Sportmütze übers Ohr gezogen, und auf der andern Seite steht darunter rötlich Haar von der Schläfe hinauf; rötliche Wimpern auch an geröteten Augen, käsig das Gesicht, mit etwas schief abgebogener Nasenspitze; über quer gestreiftem Trikothemd eine karierte Jacke mit zu kurzen Ärmeln, aus denen die plumpfingrigen Hände kommen; widrig knapp sitzende Hose und gelbe, vertragene Schuhe, die man nicht länger putzen kann. Ein Strizzi. Ein Ludewig. Und mit der Stimme, der Artikulation eines Schauspielers.
»Wird es?« wiederholt er.
»Ich wünsche vor allem zu wissen«, sage ich mit bebender Beherrschung, »wer sich herausnimmt, hier einzudringen und bei mir Platz zu nehmen.«
»Vor allem«, wiederholt er. »Vor allem ist gar nicht schlecht.

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Aber du bist überempfindlich gegen jedweden Besuch, den du für unerwartet achtest und unerwünscht. Ich komme ja nicht, dich zur Gesellschaft zu holen, dich zu beschmeicheln, daß du zum musikalischen Kränzchen stößt. Sondern um die Geschäfte mit dir zu besprechen. Holst du dir deine Sachen? Es ist kein Reden beim Zähneklappern.«
Saß einige Sekunden noch, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Und der Frost, von ihm her, dringt mich an, schneidend, daß ich mich schutzlos und bloß fühle davor in meinem leichten Anzug. So ging ich. Stehe tatsächlich auf und geh durch die nächste Tür zur Linken, wo mein Schlafzimmer ist (das andere ist weiterhin an derselben Seite), nehme aus dem Spind den Wintermantel, den ich in Rom trage an Tramontana-Tagen, und der hat mitkommen müssen, denn ich sonst nicht weiß, wo ihn lassen; setz auch den Hut auf, greife das Reiseplaid und kehre, so ausgerüstet, an meinen Platz zurück. Nach wie vor sitzt er an dem seinen.
»Ihr seid noch da«, sage ich, indem ich den Mantelkragen hochschlage und mir das Plaid um die Knie schlinge, »selbst nachdem ich gegangen und wiedergekommen? Das wundert mich. Denn nach meiner starken Vermutung seid Ihr nicht da.«
»Nicht?« fragte er wie geschult, mit Nasenresonanz. »Wie denn nicht?«
Ich: »Weil es höchst unwahrscheinlich ist, daß einer sich hier am Abend zu mir setzt, deutsch redend und Kälte lassend, angeblich, um Geschäfte mit mir zu erörtern, von denen ich nichts weiß und nichts wissen will. Viel wahrscheinlicher ist, daß eine Krankheit bei mir im Ausbruch ist und ich den Fieberfrost, gegen den ich mich einhülle, in meiner Benommenheit hinausverlege auf Eure Person und Euch sehe, nur um in Euch seine Quelle zu sehen.«
Er (ruhig und überzeugend wie ein Schauspieler lachend): »Was für ein Unsinn! Was für einen intelligenten Unsinn du redest! Es ist recht, was auf gut altdeutsch Aberwitz heißt. Und so künstlich! Eine gescheite Künstlichkeit, wie aus deiner Oper gestohlen! Aber wir machen hier doch keine Musik, augenblicklich.

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Außerdem ist es pure Hypochondrie. Bilde dir doch, bitte, keine Schwachheiten ein! Sei ein bißchen stolz und gib nicht gleich deinen fünf Sinnen den Laufpaß! Bei dir ist keine Krankheit im Ausbruch, sondern bist nach dem bißchen Anfall von der besten jugendlichen Gesundheit. Übrigens, pardon, ich möchte nicht taktlos sein, denn was heißt Gesundheit. Aber so, mein Lieber, bricht deine Krankheit nicht aus. Du hast keine Spur von Fieber, und ist gar kein Anlaß, daß du je welches haben solltest.«
Ich: »Ferner, weil Ihr mit jedem dritten Wort, das Ihr sagt, Euere Nichtigkeit bloßstellt. Ihr sagt lauter Dinge, die in mir sind und aus mir kommen, aber nicht aus Euch. Ihr äfft den Kumpf nach mit Redensarten und sehet nicht dabei aus, als wäret Ihr je in einer Universität, auf einer Hohen Schule gewesen und hättet neben mir auf dem Affenbänklein gesessen. Ihr spracht vom armen Gentleman und von dem, dem ich Du sage, sogar von solchen, die mir Du gesagt haben ganz unverdankt. Und von der Oper sprecht Ihr auch noch. Woher solltet Ihr denn das alles wissen?«
Er (lacht wieder geübt und kopfschüttelnd, wie über eine köstliche Kinderei): »Woher sollte ich? Aber du siehst doch, daß ich es weiß. Und daraus willst du zu deiner eigenen Unehre schließen, daß du nicht recht siehst? Das heißt doch wirklich alle Logik auf den Kopf stellen, wie man sie auf der Hohen Schulen lernt. Statt aus meiner Informiertheit zu folgern, daß ich nicht leibhaftig bin, solltest du lieber schließen, daß ich nicht nur leibhaftig, sondern auch der bin, für den du mich die ganze Zeit schon hältst.«
Ich: »Und für wen halte ich Euch?«
Er (höflich vorwurfsvoll): »Aber geh, das weißt du doch! Solltest dich auch nicht so verquanten, daß du tust, als ob du mich nicht schon lange erwartet hättest. Weißt doch so gut wie ich, daß unser Verhältnis denn doch einmal nach einer Aussprache drängt. Wenn ich bin — und das gibst du nun, denke ich, zu —, so kann ich nur Einer sein. Meinst du mit Wer ich bin: Wie ich heiße? Aber du hast ja all die skurrilen Neck-

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nämchen noch von der Hohen Schulen her im Gedächtnis, von deinem ersten Studium her, als du noch nicht die Heilige Geschrift vor die Tür und unter die Bank gelegt hattest. Hast sie alle am Schnürchen und magst darunter wählen, — ich habe ja fast nur solche, fast nur Necknämchen, mit denen man mir, so zu reden, mit zwei Fingern unter dem Kinn spielt: Das kommt von meiner kerndeutschen Popularität. Man läßt sie sich ja gefallen, die Popularität, nicht wahr, auch wenn man sie nicht gesucht hat und im Grund überzeugt ist, daß sie auf einem Mißverständnis beruht. Ist immer schmeichelhaft, ist immer wohltuend. Suche dir also, wenn du mich schon nennen willst, obgleich du ja meistens die Leute gar nicht bei Namen nennst, weil du aus Uninteressiertheit ihren Namen nicht weißt,—suche dir unter den bäurischen Zärtlichkeiten eine aus nach Belieben! Nur eine will und mag ich nicht hören, weil sie entschieden eine boshafte Nachrede ist und nicht im geringsten auf mich paßt. Wer mich den Herrn Dicis et non facis nennt, der wohnt in der Fehlhalde. Soll zwar auch ein Fingerspiel sein unterm Kinn, ist aber eine Verleumdung. Ich tue schon, was ich sage, halte aufs Tüpfelchen mein Versprechen, das ist geradezu mein Geschäftsprinzip, ungefähr wie die Juden die verlässigsten Händler sind, und wenns zum Betrüge kam, nun, so ist es ja sprichwörtlich, daß immer ich, der an Treu und Redlichkeit glaubt, der Betrogene war ...«
Ich: »Dicis et non es. Ihr wollt wirklich da vor mir in dem Sofa sitzen und von außen her zu mir reden auf gut Kumpfisch, in altdeutschen Brocken? Ausgerechnet hier in Welschland wollt Ihr mich visitieren, wo Ihr gänzlich aus Euerer Zone seid und nicht im geringsten populär? Was für eine absurde Stillosigkeit! In Kaisersaschern hätt ich Euch mir gefallen lassen. Zu Wittenberg oder auf der Wartburg, sogar in Leipzig noch wärt Ihr mir glaubhaft gewesen. Aber doch hier nicht, unter heidnisch-katholischem Himmel!«
Er (kopfschüttelnd und bekümmert mit der Zunge schnalzend) : »T, t, t, immer dieselbe Zweifelsucht, immer derselbe Mangel an Selbstvertrauen! Wenn du den Mut hättest, dir zu

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sagen: >Wo ich bin, da ist Kaisersaschern<, gelt, so stimmte die Sache auf einmal, und der Herr Ästheticus brauchte nicht mehr über Stillosigkeit zu seufzen. Potz Strahl! Du hättest schon recht, so zu sprechen, hast nur eben den Mut nicht dazu oder tust so, als fehlte er dir. Selbstunterschätzung mein Freund, — und mich unterschätzest du auch, wenn du mich dermaßen einschränkst und willst mich gänzlich zum deutschen Provinzler machen. Ich bin zwar deutsch, kerndeutsch meinetwegen, aber doch eben auf alte, bessere Art, nämlich von Herzen kosmopolitisch. Willst mich hier wegleugnen und bringst die alte deutsche Sehnsucht und den romantischen Wandertrieb gar nicht in Anschlag nach dem schönen Lande Italia! Deutsch soll ich sein, aber daß es mich auch einmal auf gut Dürerisch nach der Sonne fröre, das will der Herr mir nicht gönnen, — nicht einmal, wo ich doch außerdem, von der Sonne ganz abgesehen, dringlich schöne Geschäfte hier habe, von wegen einer feinen, erschaffenen Creatur ...«
Hier kam ein unaussprechlicher Ekel mich an, so daß ich wild zusammenschauderte. War aber kein rechter Unterscheidt zwischen den Ursachen meines Schauderns; mochte zugleich und in einem damit auch vor Kälte sein, dann sich der Froststrom von ihm her jäh verschärft hatte, so daß es mir durch das Manteltuch ins Mark der Knochen schnitt. Unwillig frage ich:
»Könnt Ihr denn das Unwesen nicht abstellen, diesen eisigen Zug?!«
Er darauf: »Leider nein. Es tut mir leid, dir hierin nicht gefällig sein zu können. Ich bin nun einmal so kalt. Wie sollte ich's sonst auch aushalten und es wohnlich befinden dort, wo ich wohne?«
Ich (unwillkürlich): »Ihr meint in der Hellen und ihrer Spelunck?«
Er (lacht wie gekitzelt): »Ausgezeichnet! Derb und deutsch und schalkhaft gesagt! Hat ja noch viele hübsche Benennungen, gelehrt-pathetische, die der Herr Ex-Theologus alle kennen, sowie Carcer, Exitium, Confutatio, Pernicies, Condemnatio und so fort.

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Aber die zutraulich deutschen und humoristischen, ich kann mir nicht helfen, bleiben mir immer die liebsten. Übrigens lassen wir fürerst noch den Ort und seine Beschaffenheit! Ich seh dirs am Gesichte an, daß du im Begriffe bist, mich danach zu fragen. Das steht aber in weitem Felde und ist nicht im geringsten brennend — du verzeihst mir das Scherzwort, daß es nicht brennend ist! — es hat Zeit damit, reichliche, unabsehbare Zeit, — Zeit ist das Beste und Eigentliche, das wir geben, und unsere Gabe das Stundglas, — ist ja so fein, die Enge, durch die der rote Sand rinnt, so haardünn sein Gerinnsel, nimmt für das Auge gar nicht ab im oberen Hohlraum, nur ganz zuletzt, da scheints schnell zu gehen und schnell gegangen zu sein, — aber das ist so lange hin, bei der Enge, daß es der Rede und des Darandenkens nicht wert ist. Nur eben daß das Stundglas gestellt ist, der Sand immerhin zu rinnen begonnen hat, darüber wollt ich mich gern mit dir, mein Lieber, verständigen.«
Ich (recht höhnisch): »Außerordentlich Dürerisch liebt Ihrs, — erst >Wie wirds mich nach der Sonne frieren< und nun die Sanduhr der Melencolia. Kommt auch das stimmige Zahlenquadrat? Bin auf alles gefaßt und gewöhne mich an alles. Gewöhne mich an Euere Unverschämtheit, daß Ihr mich Du nennt und »mein Lieber«, was mir allerdings besonders zuwider. >Du< sag ich ja schließlich auch zu mir selbst, — was wahrscheinlich erklärt, daß Ihr so sagt. Nach Eurer Behauptung konversier ich mit dem schwartzen Kesperlin, — Kesperlin, das ist Kaspar, und so sind Kaspar und Samiel ein und derselbe.«
Er: »Fängst du wieder an?«
Ich: »Samiel. Es ist zum Lachen! Wo ist denn dein c-MollFortissimo aus Streichertremoli, Holz und Posaunen, das, ingeniöser Kinderschreck für das romantische Publikum, aus dem fis-Moll der Schlucht hervortritt wie du aus deinem Felsen? Mich wundert, daß ichs nicht höre!«
Er: »Laß das gut sein. Wir haben auch viel löblicher Instrument, und du sollst sie schon hören. Werden dir schon aufspielen, wenn du erst reif bist, es zu vernehmen. Ist alles eine

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Sache der Reife und der lieben Zeit. Eben darüber möcht ich ja mit dir reden. Aber Samiel — die Form ist dumm. Ich bin wahrlich fürs Volkstümliche, aber Samiel, zu dumm, das hat Johann Balhorn von Lübeck verbessert. Sammael heißt es. Und was heißt Sammael?«
Ich (schweige vertrotzt).
Er: »Weistu was so schweig. Ich habe was übrig für die Diskretion, mit der du die Verdeutschung mir überläßt. >Engel des Giftes< heißt es.«
Ich (zwischen den Zähnen, die nicht recht wollten aufeinander bleiben): »Ja, entschieden, so seht Ihr aus! Ganz wie ein Engel, genau! Wißt Ihr, wie Ihr ausseht? Ordinär ist gar nicht das Wort dafür. Wie ein frecher Abschaum, ein Mannsluder, ein blutiger Ludewig seht Ihr aus, das ist Euer Aussehen, in dem Ihrs für gut befunden habt, mich zu besuchen, — und keines Engels!«
Er (an sich herunterblickend mit gespreizten Armen): »Wie denn, wie denn? Wie seh ich denn aus? Nein, es ist wirklich gut, daß du mich fragst, ob ich weiß, wie ich aussehe, denn wahrhaftig, ich weiß es nicht. Oder ich wußte es nicht, du bringst es mir erst zur Bemerkung. Sei versichert, ich schenke meinem Äußeren gar keine Aufmerksamkeit, überlasse es sozusagen sich selbst. Das ist reiner Zufall, wie ich aussehe, oder vielmehr, es macht sich so, es stellt sich so je nach den Umständen her, ohne daß ich auch nur acht darauf gebe. Anpassung, Mimikry, du kennst das ja, Mummschanz und Vexierspiel der Mutter Natur, die immer die Zunge im Mundwinkel hat. Aber du wirst doch, mein Lieber, die Anpassung, von der ich so viel und so wenig weiß wie der Blattschmetterling, nicht auf dich beziehen und sie mir für übel halten! Du mußt zugeben, daß sie nach der anderen Seite hin ihr Passendes hat, — nach der Seite, wo du dirs geholt hast, und zwar gewarnt, nach der Seite von deinem hübschen Lied mit dem Buchstabensymbol, — oh, wirklich sinnreich gemacht und beinah schon wie unter Inspiration:
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Als du mir einst gegeben
Zur Nacht den kühlen Trank,
Vergiftetest du mein Leben . ..

Ausgezeichnet.

Es hat sich an der Wunde
Die Schlange festgesaugt...

Wirklich begabt. Das ist es ja, was wir beizeiten erkannt, und weshalb wir von früh an ein Auge auf dich gehabt haben, — wir sahen, daß dein Fall ganz ausgesprochen der Mühe wert, daß es ein Fall war von günstigster Lagerung, aus dem sich, nur ein bißchen von unserem Feuer darunter gebracht, nur ein bißchen Anheizung, Beschwingung und Beschwipsung vorausgesetzt, etwas Glänzendes würde machen lassen. Hat nicht Bismarck so was gesagt, wie daß der Deutsche eine halbe Flasche Champagner braucht, um auf seine natürliche Höhe zu kommen ? Ist mir doch ganz, als ob er so was gesagt hätte. Und das zu Recht. Begabt, aber lahm ist der Deutsche, — begabt genug, sich an seiner Lahmheit zu ärgern und sie auf Teufel komm raus durch Illumination zu überkommen. Du, mein Lieber, hast wohl gewußt, was dir fehlte, und bist recht in der Art geblieben, als du deine Reise tatest und dir, salva venia, die lieben Franzosen holtest.«
»Schweig!«
»Schweig? Siehe da, das ist ein Fortschritt auf deiner Seite. Du wirst warm. Endlich einmal lassest du die pluralische Höflichkeit fallen und sagst mir Du, wie es sich ziemt zwischen Leuten, die im Vertrage sind und in der Abrede auf Zeit und Ewigkeit.«
»Ihr sollt schweigen!«
»Schweigen? Aber wir schweigen ja schon an die fünf Jahre lang und müssen doch irgend einmal miteinand zusprach kommen und rätig werden über das Ganze und über die interessanten Umstände, in denen du dich befindest. Dies ist natürlich eine Sache zum Schweigen, aber doch nicht zwischen uns auf

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die Dauer, — wo doch das Stundglas gestellt ist, der rote Sand zu rinnen begonnen hat durch die fein-feine Enge, — oh, eben nur begonnen! Es ist noch fast nichts, was unten liegt, im Vergleich mit der oberen Menge, — wir geben Zeit, reichliche, unabsehbare Zeit, an deren Ende man gar nicht zu denken braucht, noch lange nicht, nicht einmal um den Zeitpunkt, wo man anfangen könnte, ans Ende zu denken, wo es heißen könnte: >Respice finem<, braucht man sich vorerst zu kümmern, sintemalen es ein schwankender Zeitpunkt ist, der Willkür und dem Temperament überlassen, und weiß niemand nicht, wo man ihn ansetzen, und wie weit man ihn hinauslegen soll gegen das Ende. Dies ist ein guter Witz und eine treffliche Vorrichtung: Die Unsicherheit und Beliebigkeit des Augenblicks, wo es Zeit wird, ans Ende zu denken, vernebelt scherzhaft den Augenblick auf das gesetzte Ende.«
»Faseley!«
»Geh, dir ist es nicht recht zu machen. Sogar gegen meine Psychologie bist du grob, — wo du doch selbst einmal auf dem heimischen Zionsberg die Psychologie einen netten, neutralen Mittelstand und die Psychologen die wahrheitsliebendsten Leute genannt hast. Ich fasele keineswegs und mitnichten, wenn ich von der gegebenen Zeit spreche und von dem gesetzten Ende, sondern rede strikte zur Sache. Überall, wo das Stundglas gestellt und Zeit gegeben ist, unausdenkbare, aber befristete Zeit und ein gesetztes Ende, da sind wir wohl auf dem Plan, da blüht unser Weizen. Zeit verkaufen wir, — sagen wir einmal vierundzwanzig Jahre, — ist das abzusehen? Ist das eine gehörige Masse? Da mag einer leben auf den alten Kaiser hin wie eine Viehe und die Welt in Erstaunen setzen als ein großer Nigromant durch viel Teufelswerk; da mag einer je länger je mehr aller Lahmheit vergessen und hoch illuminiert über sich selbst hinaussteigen, ohne sich selber doch fremd zu werden, sondern er ist und bleibt er selbst, nur auf seine natürliche Höhe gebracht durch die halbe Flasche Champagner, und darf in trunkenem Selbstgenuß alle Wonnen beinahe unerträglicher Eingießung kosten, daß er mit mehr oder weniger Recht überzeugt

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sein mag, so etwas von Eingießung sei seit Jahrtausenden nicht mehr dagewesen, daß er sich schlecht und recht für einen Gott halten mag in gewissen ausgelassenen Augenblicken. Wie kommt so einer dazu, sich um den Zeitpunkt zu kümmern, wo es Zeit wird, ans Ende zu denken! Nur, das Ende ist unser, am Ende ist er unser, das will ausgemacht sein, und nicht bloß schweigend, so verschwiegen es sonst auch zugehen mag, sondern von Mann zu Mann und ausdrücklich.«
Ich: »So wollt Ihr mir Zeit verkaufen?«
Er: »Zeit? Bloß so Zeit? Nein, mein Guter, das ist keine Teufelsware. Dafür verdienten wir nicht den Preis, daß das Ende uns gehöre. Was für 'ne Sorte Zeit, darauf kommts an! Große Zeit, tolle Zeit, ganz verteufelte Zeit, in der es hoch und überhoch hergeht, — und auch wieder ein bißchen miserabel natürlich, sogar tief miserabel, das gebe ich nicht nur zu, ich betone es sogar mit Stolz, denn so ist es ja recht und billig, so ists doch Künstlerart und -natur. Die, bekanntlich, neigt allezeit zur Ausgelassenheit nach beiden Seiten, ist ganz normalerweise ein bißchen ausschreitend. Da schlägt immer der Pendel weit hin und her zwischen Aufgeräumtheit und Melencolia, das ist gewöhnlich, ist sozusagen noch bürgerlich-mäßiger, nürrembergischer Art im Vergleich mit dem, was wir liefern. Denn wir liefern das Äußerste in dieser Richtung: Aufschwünge liefern wir und Erleuchtungen, Erfahrungen von Enthobenheit und Entfesselung, von Freiheit, Sicherheit, Leichtigkeit, Machtund Triumphgefühl, daß unser Mann seinen Sinnen nicht traut, — eingerechnet noch obendrein die kolossale Bewunderung für das Gemachte, die ihn sogar auf jede fremde, äußere leicht könnte verzichten lassen, — die Schauer der Selbstverehrung, ja des köstlichen Grauens vor sich selbst, unter denen er sich wie ein begnadetes Mundstück, wie ein göttliches Untier erscheint. Und entsprechend tief, ehrenvoll tief, gehts zwischendurch denn auch hinab, — nicht nur in Leere und Öde und unvermögende Traurigkeit, sondern auch in Schmerzen und Übelkeiten, — vertraute übrigens, die schon immer da waren, die zur Anlage gehören, nur höchst ehrenvoll verstärkt sind sie

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durch die Illumination und den bewußten Haarbeutel. Das sind Schmerzen, die man für das enorm Genossene mit Vergnügen und Stolz in Kauf nimmt, Schmerzen, die man aus dem Märchen kennt, die Schmerzen, die die kleine Seejungfrau, wie von schneidenden Messern, in ihren schönen Menschenbeinen hatte, als sie sie statt des Schwanzes erworben. Du kennst doch die kleine Seejungfrau von Andersen? Das wäre ein Schätzchen für dich! Es kostet dich ein Wort, und ich führe sie dir zu Bette.«
Ich: »Wenn du schweigen könntest, läppisches Wesen!«
Er: »Nun, nun, nur nicht immer gleich Grobheiten. Immer willst du nur Schweigen haben. Ich bin doch nicht von der Familie Schweigestill. Und übrigens hat dir Mutter Else in aller verständnisvollen Diskretion eine Menge vorgeplaudert von ihren Gelegenheitsgästen. Ich aber bin ganz und gar nicht Schweigens wegen zu dir ins heidnische Ausland gekommen, sondern zur ausdrücklichen Bekräftigung unter vier Augen und zum festen Rezeß über Leistung und Zahlung. Ich sage dir ja, daß wir schon mehr als vier Jahre schweigen, — und dabei ist alles im feinsten, ausgesuchtesten, verheißungsvollen Gange, und ist die Glock schon halb gegossen. Soll ich dir sagen, wie's steht und was los ist?«
Ich: »Es scheint ja, ich muß hören.«
Er: »Möchtest darneben auch gern und bist wohl content, daß du hören kannst. Ich glaube sogar, es tanzert dich gar nicht wenig, zu hören, und tätest greinen und grannen mit dir, wenn ichs dir verhielte. Recht hättest auch. Ist ja so traulich, heimliche Welt, in der wir mitsammen sind, du und ich, — sind beide recht zu Hause darin, das reine Kaisersaschern, gut altdeutsche Luft von anno fünfzehnhundert oder so, kurz bevor Dr. Martinus kam, der auf so derbem, herzlichem Fuß mit mir stand und mit der Semmel, nein, mit dem Tintenfaß nach mir warf, längst also vor der dreißigjährigen Lustbarkeit. Erinnere dich nur, wie munter volksbewegt es war bei euch in Deutschlands Mitten, am Rheine und überall, seelenvoll aufgeräumt und krampfig genug, ahndungsreich und beunruhigt, — Wallfahrtsdrang zum Heiligen Blut nach Niklashausen im Taubertal,

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Kinderzüge und blutende Hostien, Hungersnot, Bundschuh, Krieg und die Pest zu Köllen, Meteore, Kometen und große Anzeichen, stigmatisierte Nonnen, Kreuze, die auf den Kleidern der Menschen erscheinen, und mit dem wundersam bekreuzten Mädchenhemd als Banner wollen sie gegen die Türken ziehen. Gute Zeit, verteufelt deutsche Zeit! Wird dir nicht herzlich wohlig zu Sinn beim Gedenken? Da traten die rechten Planeten im Zeichen des Skorpions zusammen, wie Meister Dürer es gar wohlbelehrt gezeichnet hat im medizinischen Flugblatt, da kamen die zarten Kleinen, das Volk der Lebeschräubchen, die lieben Gäste aus Westindien ins deutsche Land, die Geißelschwärmer, — gelt, da horchst du auf? Als ob ich von der ziehenden Büßerzunft, den Flagellanten, redete, die sich für ihre und aller Sünde den Rücken walkten. Ich meine aber die Flagellaten, die untersichtig Winzigen von der Sorte, die Geißeln haben, wie unsre bleiche Venus, die spirochaeta pallida, das ist die rechte Sorte. Hast aber recht, es klingt so traulich nach hohem Mittelalter und nach dem Flagellum haereticorum fascinariorum. O ja, als fascinarii mögen sie sich wohl erweisen, unsere Schwärmer, in besseren Fällen, wie dem deinigen. Sind übrigens recht gesittet und domestiziert schon längst und machen in alten Landen, wo sie so viele Jahrhunderte zu Hause sind, nicht mehr so grobe Büffelpossen wie ehedem, mit offener Beul und Pestilentz und abgefallenen Nasen. Kunstmaler Baptist Spengler sieht auch nicht aus, als müßte er, den Leichnam hären vermummt, wo er geht und steht die Warnungsklapper schwingen.«
Ich: »Steht es mit Spengler — so?«
Er: »Wie denn nicht? Es soll wohl mit dir allein so stehen? Ich weiß, du hättest das Deine gern ganz apart für dich und ärgerst dich über jeden Vergleich. Mein Lieber, man hat immer eine Menge Genossen! Natürlich ist Spengler ein Esmeraldus. Nicht umsonst blinzelt er immer so verschämt und listig mit den Augen, und nicht umsonst nennt Ines Rodde ihn einen heimlichen Schleicher. So geht es, Leo Zink, der faunus ficarius, ist noch immer davongekommen, aber den sauberen, gescheiten

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Spengler hats früh erwischt. Übrigens sei ruhig und spare dir die Eifersucht auf den. Es ist ein langweiliger, banaler Fall, bei dem nicht das geringste herauskommt. Das ist kein Py thone, an dem wir sensationelle Taten vollbringen. Ein bißchen heller, am Geistigen beteiligter mag er geworden sein durch den Empfang und würde vielleicht nicht so gern das Tagebuch der Goncourts und den Abbe Galiani lesen, hätt er nicht die Verbindung zum Höheren, hätt er den geheimen Denkzettel nicht. Psychologie, mein Lieber. Krankheit, und nun gar anstößige, diskrete, geheime Krankheit, schafft einen gewissen kritischen Gegensatz zur Welt, zum Lebensdurchschnitt, stimmt aufsässig und ironisch gegen die bürgerliche Ordnung und läßt ihren Mann Schutz suchen beim freien Geist, bei Büchern, beim Gedanken. Aber weiter ist es auch nichts mit Spengler. Die Zeit, die ihm zum Lesen, Zitieren, Rotweintrinken und Faulenzen noch gegeben ist, haben nicht wir ihm verkauft, es ist nichts weniger als genialisierte Zeit. Ein angebrannter und matter, halb interessanter Weltmann, sonst nichts. Er kröpelt so dahin an Leber, Niere, Magen, Herz und Darm, wird eines Tages stockheiser oder taub und kratzt, ein skeptisches Scherzwort auf den Lippen, nach einigen Jahren ruhmlos ab — was weiter? Daran ist nichts gelegen, das war nie eine Illumination, Erhöhung und Begeisterung, denn es war nicht gehirnlich, nicht zerebral, verstehst du, — unsere Kleinen kümmerten sich da ums Edle, Obere nicht, es hatte offenbar keine Verführung für sie, es kam nicht zur Metastasierung ins Metaphysische, Metavenerische, Metainfektiose . . .«
Ich: (mit Haß): »Wie lange werde ich sitzen und frieren und Euerem unerträglichen Gefasel zuhören müssen?«
Er: »Gefasel? Zuhören müssen? Du machst da einen drollichsten Gassenhauer auf. Meim Bedunken nach hörst du sehr aufmerksam zu und bist nur ungeduldig, mehr und alles zu wissen. Eben noch hast du dich angelegentlich nach deinem Freunde Spengler zu München erkundigt, und hätt ich dir nicht das Wort abgeschnitten, so fragtest du mich gierig die ganze Zeit nach der Hellen aus und ihrer Spelunck. Spiele, bitte, nicht

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den Belästigten! Ich habe auch mein Selbstgefühl und weiß, daß ich kein ungebetener Gast bin. Kurzum, die Metaspirochaetose, das ist der meningeale Prozeß, und ich versichere dich, es ist gerade, als hätten gewisse von den Kleinen eine Passion fürs Obere, eine besondere Vorliebe für die Kopfregion, die Meningen, die dura mater, das Hirnzelt und die Pia, die das zarte Parenchym im Inneren schützen, und schwärmten vom Augenblick der ersten Allgemeindurchseuchung leidenschaftlich dorthin.«
Ich: »Es steht Euch, wie Ihr sprecht. Der Ludewig scheint medicinam studiert zu haben.«
Er: »Nicht mehr, als du theologiam, will sagen: fragmentarisch und spezialistisch. Willst du leugnen, daß du die beste der Künste und Wissenschaften auch nur als Spezialist und Liebhaber studiert hast? Dein Interesse galt — mir. Ich bin dir sehr verbunden. Wie sollte aber ich, Esmeralda's Freund und Zuhält, als den du mich vor dir siehst, nicht ein besondres Interesse haben an dem betreffenden, dem anzüglichen, dem nächstliegenden Gebiet der Medizin und spezialistisch darin zu Hause sein? Tatsächlich verfolge ich auf diesem Gebiet beständig mit größter Aufmerksamkeit die letzten Forschungsergebnisse. Item, einige doctores wollen wahrhaben und schwören Stein und Bein, es müsse Hirnspezialisten unter den Kleinen geben, Liebhaber der zerebralen Sphäre, kurz, ein virus nerveux. Sie wohnen aber in der bekannten Halde. Es ist umgekehrt. Es ist das Gehirn, das nach ihrem Besuche lüstern ist und ihm erwartungsvoll entgegensieht, wie du dem meinen, das sie zu sich einlädt, sie an sich zieht, als ob es sie gar nicht erwarten könnte. Weißt du noch? Der Philosoph, De anima: >Die Handlungen der Handelnden geschehen an den vorher disponierten Leidenden.< Da siehst du's, auf die Disponiertheit, die Bereitschaft, die Einladung kommt alles an. Daß einige Menschen zur Vollbringung von Hexentaten mehr beanlagt sind als die anderen, und wir sie wohl zu ersehen wissen, des gedenken ja schon die würdigen Autoren des Malleus.«
Ich: »Verleumder, ich habe keine Kundschaft mit dir. Ich habe dich nicht geladen.«

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Er: »Ach, ach, die liebe Unschuld! Der weitgereiste Kunde meiner Kleinen war wohl nicht gewarnt? Und deine Ärzte hast du dir auch mit sicherem Instinkte ausgesucht.«
Ich: »Im Adreßbuch hab ich sie aufgeschlagen. Wen hätt ich fragen sollen? Und wer hätte mir sagen können, daß sie mich im Stiche lassen würden? Was habt Ihr mit meinen beiden Ärzten gemacht?«
Er: »Beseitigt, beseitigt. Oh, die Stümper haben wir doch natürlich in deinem Interesse beseitigt. Und zwar im rechten Augenblick, zu früh nicht und nicht zu spät, als sie mit ihrem Queck undQuack die Sache auf den rechten Weg gebracht und, hätten wir sie gelassen, den schönen Fall nur noch hätten verpfuschen können. Wir haben ihnen die Provokation erlaubt — und damit basta und weg mit ihnen. Sobald sie mit ihrer spezifischen Behandlung die erste, kutan betonte allgemeine Infiltration gehörig eingeschränkt und damit der Metastasierung nach oben einen kräftigen Antrieb gegeben, war ihr Geschäft getan, sie waren abzuschaffen. Die Tröpfe wissen nämlich nicht, und wenn sie's wissen, können sie's nicht ändern, daß durch die Allgemeinbehandlung die oberen, die metavenerischen Prozesse kräftig beschleunigt werden. Sie werden zwar auch durch Nichtbehandlung der frischen Stadien oft genug gefördert, kurz, wie mans macht, ists falsch. Auf keinen Fall durften wir die Provokation durch das Queck und Quack andauern lassen. Der Rückgang der Allgemeindurchdringung war sich selbst zu überlassen, damit die Progredienz dort oben hübsch langsam vonstatten ging, damit dir Jahre, Jahrzehnte schöner, nigromantischer Zeit salviert wären, ein ganzes Stundglas voll genialer Teufelszeit. Eng und klein und fein umschrieben ist heute, vier Jahre nachdem du dirs geholt, das Plätzchen da oben bei dir — aber es ist vorhanden —, der Herd, das Arbeitsstübchen der Kleinen, die auf dem Liquorwege, dem Wasserwege sozusagen, dorthin gelangt, die Stelle der inzipienten llluminierung.«
Ich: »Ertappe ich dich, Dummkopf? Verrätst dich und nennst mir selber die Stelle in meinem Hirn, den Fieberherd, der dich mir vorgaukelt, und ohne den du nicht wärst! Verrätst mir,

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daß ich dich erregterweise zwar sehe und höre, daß du aber nur ein Geplerr bist vor meinen Augen!«
Er: »Du liebe Logik! Närrchen, umgekehrt wird ein Schuh daraus. Ich bin nicht das Erzeugnis deines pialen Herdes dort oben, sondern der Herd befähigt dich, verstehst du?, mich wahrzunehmen, und ohne ihn, freilich, sähst du mich nicht. Ist darum meine Existenz an deinen inzipienten Schwips gebunden? Gehör ich darum in dein Subjekt? Da möcht ich bitten! Nur Geduld, was sich da tut und progrediert, das wird dich noch zu ganz anderem befähigen, ganz andere Hindernisse noch niederlegen und sich mit dir über Lahmheit und Hemmung schwingen. Warte bis Charf reitag, so wird bald Ostern werden! Warte ein, zehn, zwölf Jahre, bis die Illuminierung, der hellichte Ausfall aller lahmen Skrupel und Zweifel auf seine Höhe kommt, und du wirst wissen, wofür du zahlst, weswegen du uns Leib und Seele vermacht. Da werden dir sine pudore aus der Apothekensaat osmotische Gewächse sprießen . ..«
Ich (fahre auf): »So halte dein ungewaschen Maul! Ich verbiete dir, von meinem Vater zu sprechen!«
Er: »Oh, dein Vater ist in meinem Maule gar nicht so fehl am Ort. Er hatt es hinter den Ohren, mochte immer gern die elementa spekulieren. Das Hauptwee, den Ansatzpunkt für die Messerschmerzen der kleinen Seejungfrau, hast du doch auch von ihm . . . Im übrigen, ich habe ganz recht gesprochen, um Osmose, um Liquordiffusion, um den Proliferationsvorgang handelt sichs bei dem ganzen Zauber. Ihr habt da den Lumbalsack mit der pulsierenden Liquorsäule darin, der reicht ins Zerebrale, zu den Hirnhäuten, in deren Gewebe die schleichende venerische Meningitis am leisen, verschwiegenen Werke ist. Aber ins Innere, ins Parenchym könnten unsere Kleinen gar nicht gelangen, so sehr es sie dorthin zieht und so sehnlich sie dorthin gezogen werden, — ohne die Liquordiffusion, die Osmose mit dem Zellsaft der Pia, die ihn verwässert, das Gewebe auflöst und den Geißlern den Weg ins Innere bahnt. Es kommt alles von der Osmose, mein Freund, an deren neckischen Erzeugnissen du dich so früh ergötztest.«

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Ich: »Ihr Elend machte mich lachen. Ich wollte, Schildknapp kehrte zurück, daß ich mit ihm lachen könnte. Ich wollte ihm Vatergeschichten erzählen, ich auch. Von den Tränen in meines Vaters Augen wollte ich ihm erzählen, wenn er sagte: >Und dabei sind sie tot!<
Er: »Potz hundert Gift! Du hattest recht, ob seiner erbarmungsvollen Tränen zu lachen, — unangesehen noch, daß, wers von Natur mit dem Versucher zu tun hat, immer mit den Gefühlen der Leute auf konträrem Fuße steht und immer versucht ist, zu lachen, wenn sie weinen, und zu weinen, wenn sie lachen. Was heißt >tot<, wenn die Flora doch so bunt und vielgestaltig wuchert und sprießet, und wenn sie sogar heliotropisch ist? Was heißt denn >tot<, wenn der Tropfen doch solchen gesunden Appetit bekundet? Was krank ist, und was gesund, mein Junge, darüber soll man dem Pfahlbürger lieber das letzte Wort nicht lassen. Ob der sich so recht aufs Leben versteht, bleibt eine Frage. Was auf dem Todes-, dem Krankheitswege entstanden, danach hat das Leben schon manches Mal mit Freuden gegriffen und sich davon weiter und höher führen lassen. Hast du vergessen, was du auf der Hohen Schul gelernt hast, daß Gott aus dem Bösen das Gute machen kann, und daß die Gelegenheit dazu ihm nicht verkümmert werden darf? Item, einer muß immer krank und toll gewesen sein, damit die anderen es nicht mehr zu sein brauchen. Und wo die Tollheit anfängt, krank zu sein, macht niemand so leicht nicht aus. Schreibt einer im Raptus an den Rand: >Bin selig! Bin außer mir! Das nenn ich neu und groß! Siedende Wonne des Einfalls! Meine Wangen glühen wie geschmolzenes Eisen! Bin rasend, und ihr alle werdet rasend werden, wenn dies zu euch kommt! Gott helfe dann euren armen Seelen!< — ist das noch tolle Gesundheit, normale Tollheit, oder hat ers in den Meningen? Der Bürger ist der Letzte, es auszumachen; lange jedenfalls fällt ihm nichts weiter daran auf, weil Künstler nun mal 'nen Vogel haben. Ruft einer nächsten Tags im Rückschlag: >O blöde Öde! O Hundedasein, wenn man nichts machen kann! Gäbs doch nur Krieg da draußen, damit was los war! Könnt

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ich abkratzen auf gute Manier! Möge die Hölle sich meiner erbarmen, denn ich bin ein Höllensohn!< — ist das eigentlich ernst zu nehmen? Ist es die wörtliche Wahrheit, was er da von der Höllen sagt, oder ists nur Metapher für ein bißchen normale Dürer'sche Melencolia? In summa, wir liefern euch bloß, wofür der klassische Dichter, der höchst Würdige, sich so schön bei seinen Göttern bedankt:

Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz:
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.«

Ich: »Höhnischer Lügner! Si Diabolus non esset mendax et homicida! Muß ich dich schon hören, sprich mir wenigstens nicht von heiler Größe und gewachsenem Gold! Ich weiß, daß das mit Feuer statt durch die Sonne gemachte Gold nicht echt ist.«
Er: »Wer sagt das? Hat die Sonne beßres Feuer als die Küche? Und heile Größe! Wenn ich davon nur höre! Glaubst du an so was, an ein Ingenium, das gar nichts mit der Höllen zu tun hat? Non datur! Der Künstler ist der Bruder des Verbrechers und des Verrückten. Meinst du, daß je ein irgend belustigendes Werk zustande gekommen, ohne daß sein Macher sich dabei auf das Dasein des Verbrechers und des Tollen verstehen lernte? Was krankhaft und gesund! Ohne das Krankhafte ist das Leben sein Lebtag nicht ausgekommen. Was echt und unecht! Sind wir Landbescheißer? Ziehen wir die guten Dinge dem Nichts aus der Nase? Wo nichts ist, hat auch der Teufel sein Recht verloren, und keine bleiche Venus richtet da was Gescheites aus. Wir schaffen nichts Neues — das ist andrer Leute Sache. Wir entbinden nur und setzen frei. Wir lassen die Lahm- und Schüchternheit, die keuschen Skrupel und Zweifel zum Teufel gehn. Wir pulvern auf und räumen, bloß durch ein bißchen Reiz-Hyperämie, die Müdigkeit hinweg, — die kleine und die große, die private und die der Zeit. Das ist es, du denkst nicht an die Laufte, du denkst nicht historisch, wenn du dich beklagst, daß der und der es ganz haben konnte, Freuden und Schmer-

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zen unendlich, ohne daß ihm das Stundglas gestellt war, die Rechnung endlich präsentiert wurd. Was der in seinen klassischen Lauften allenfalls ohne uns haben konnte, das haben heutzutage nur wir zu bieten. Und wir bieten Beßres, wir bieten erst das Rechte und Wahre, — das ist schon nicht mehr das Klassische, mein Lieber, was wir erfahren lassen, das ist das Archaische, das Urfrühe, das längst nicht mehr Erprobte. Wer weiß heute noch, wer wußte auch nur in klassischen Zeiten, was Inspiration, was echte, alte, urtümliche Begeisterung ist, von Kritik, lahmer Besonnenheit, tötender Verstandskontrolle ganz unangekränkelte Begeisterung, die heilige Verzückung? Ich glaube gar, der Teufel gilt für den Mann zersetzender Kritik? Verleumdung — wieder einmal, mein Freund! Potz Fickerment! Wenn er etwas haßt, wenn ihm in aller Welt etwas konträr ist, so ist es die zersetzende Kritik. Was er will und spendet, das ist gerade das triumphierende Über-sie-hinaus-Sein, die prangende Unbedenklichkeit!«
Ich: »Marktschreier.«
Er: »Gewiß doch! Wenn einer die gröbsten Mißverständnisse über sich, mehr noch aus Wahrheits-, denn aus Eigenliebe, richtigstellt, ist er ein Maulaufreißer. Ich werde mir von deiner ungnädigen Verschämtheit den Mund nicht stopfen lassen und weiß, daß du nur deine Affecten bei dir verdruckst und mir mit so viel Vergnügen zuhörst wie das Mägdlein dem Flüsterer in der Kirche . . . Nimm gleich einmal den Einfall, — was ihr so nennt, was ihr seit hundert oder zweihundert Jahren so nennt, — denn früher gabs die Kategorie ja gar nicht, so wenig wie musikalisches Eigentumsrecht und all das. Der Einfall also, eine Sache von drei, vier Takten, nicht wahr, mehr nicht. Alles übrige ist Elaboration, ist Sitzfleisch. Oder nicht? Gut, nun sind wir aber experte Kenner der Literatur und merken, daß der Einfall nicht neu ist, daß er gar zu sehr an etwas erinnert, was schon bei Rimski-Korsakow oder bei Brahms vorkommt. Was tun? Man ändert ihn eben. Aber ein geänderter Einfall, ist das überhaupt noch ein Einfall? Nimm Beethovens Skizzenbücher! Da bleibt keine thematische Conception, wie Gott sie

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gab. Er modelt sie um und schreibt hinzu: >Meilleur.< Geringes Vertrauen in Gottes Eingebung, geringer Respekt davor drückt sich aus in diesem immer noch keineswegs enthusiastischen >Meilleur.< Eine wahrhaft beglückende, entrückende, zweifellose und gläubige Inspiration, eine Inspiration, bei der es keine Wahl, kein Bessern und Basteln gibt, bei der alles als seliges Diktat empfangen wird, der Schritt stockt und stürzt, sublime Schauer den Heimgesuchten vom Scheitel zu den Fußspitzen überrieseln, ein Tränenstrom des Glücks ihm aus den Augen bricht, - die ist nicht mit Gott, der dem Verstände zu viel zu tun übrigläßt, die ist nur mit dem Teufel, dem wahren Herrn des Enthusiasmus möglich.«

Mit dem Kerl vor mir war unterdes, während seiner letzten Reden weylinger Weis was andres vorgegangen: Sah ich recht hin, kam er mir verschieden vor gegen früher, saß da nicht länger als Ludewig und Mannsluder, sondern, bitte doch sehr, als was Besseres, hatt einen weißen Kragen um und einen Schleifenschlips, auf der gebogenen Nase eine Brille mit Hornrahmen, hinter der feucht-dunkle, etwas gerötete Augen schimmern, — eine Mischung von Schärfe und Weichheit das Gesicht: die Nase scharf, die Lippen scharf, aber weich das Kinn, mit einem Grübchen darin, ein Grübchen in der Wange noch obendrein, - bleich und gewölbt die Stirn, aus der das Haar wohl erhöhend zurückgeschwunden, aber von ders zu den Seiten dicht, schwarz und wollig dahinstand, - ein Intelligenzler, der über Kunst, über Musik, für die gemeinen Zeitungen schreibt, ein Theoretiker und Kritiker, der selbst komponiert, soweit eben das Denken es ihm erlaubt. Weiche, magere Hände dazu, die mit Gesten von feinem Ungeschick seine Rede begleiten, manchmal zart über das dicke Schläfen- und Nackenhaar streichen. Dies war nun des Besuchers Bild in der Sofaecke. Größer war er nicht geworden; und vor allem die Stimme, nasal, deutlich, gelernt wohllautend, war dieselbe geblieben; sie bewahrte die Identität bei fließender Erscheinung. Höre ich ihn denn sagen und sehe seinen breiten» an den Winkeln verkniffenen Mund unter der mangelhaft rasierten Oberlippe, sich vorn artikulierend bewegen:

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»Was ist heute die Kunst? Eine Wallfahrt auf Erbsen. Gehört mehr zum Tanz heutzutag als ein rot Paar Schuh, und du bists nicht allein, den der Teufel betrübt. Sieh sie dir an, deine Kollegen, — ich weiß wohl, du siehst sie nicht an, du siehst nicht nach ihnen hin, du pflegst die Illusion des Alleinseins und willst alles für dich, allen Fluch der Zeit. Aber sieh sie zum Tröste doch an, die Mit-Inauguratoren der neuen Musik, ich meine die ehrlichen, ernsten, die die Konsequenzen der Lagp ziehen! Ich rede nicht von den folkloristischen und neo-klassischen Asylisten, deren Modernität darin besteht, daß sie sich den musikalischen Ausbruch verbieten und mit mehr oder weniger Würde das Stilkleid vorindividualistischer Zeiten tragen. Reden sich und anderen ein, das Langweilige sei interessant geworden, weil das Interessante angefangen hat, langweilig zu werden . ..«
Ich mußte lachen, denn obschon die Kälte fortfuhr, mir zuzusetzen, muß ich gestehen, daß mir seit seiner Veränderung in seiner Gesellschaft wohler geworden war. Er lächelte mit, nur indem seine geschlossenen Mundwinkel sich fester strafften, wobei er ein wenig die Augen schloß. »Ohnmächtig sind sie auch«, fuhr er fort, »aber ich glaube, du und ich ziehen die achtbare Ohnmacht derer vor, die es verschmähen, die allgemeine Erkrankung unter würdigem Mummschanz zu hehlen. Allgemein aber ist die Krankheit, und die Redlichen stellen an sich so gut wie an den Rückbildlern ihre Symptome fest. Droht nicht die Produktion auszugehen? Und was an Ernstzunehmendem noch zu Papier kommt, zeugt von Mühsal und Unlust. Äußere, gesellschaftliche Gründe? Mangel an Nachfrage, — und wie in der vorliberalen Ära hängt die Möglichkeit der Produktion weithin vom Zufall der Mäzenatengunst ab? Richtig, aber als Erklärung genügts nicht. Das Komponieren selbst ist zu schwer geworden, verzweifelt schwer. Wo Werk sich nicht mehr mit Echtheit verträgt, wie will einer arbeiten? Aber so steht es, mein Freund, das Meisterwerk, das in sich ruhende Gebilde, gehört der traditionellen Kunst an, die emanzipierte verneint es. Die Sache fängt damit an, daß

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euch beileibe nicht das Verfügungsrecht zukommt über alle jemals verwendeten Tonkombinationen. Unmöglich der verminderte Septimakkord, unmöglich gewisse chromatische Durchgangsnoten. Jeder Bessere trägt in sich einen Kanon des Verbotenen, des Sichverbietenden, der nachgerade die Mittel der Tonalität, also aller traditionellen Musik umfaßt. Was falsch, was verbrauchtes Cliche geworden, der Kanon bestimmt es. Tonale Klänge, Dreiklänge in einer Komposition mit dem technischen Horizont von heute — überbieten jede Dissonanz. Als solche allenfalls sind sie zu brauchen, — aber behutsam und nur in extremis, denn der Choc ist ärger als früher der bitterste Mißklang. Auf den technischen Horizont kommt alles an. Der verminderte Septimakkord ist richtig und voller Ausdruck am Anfang von opus 111. Er entspricht Beethovens technischem Gesamtniveau, nicht wahr?, der Spannung zwischen der äußersten ihm möglichen Dissonanz und der Konsonanz. Das Prinzip der Tonalität und seine Dynamik verleiht dem Akkord sein spezifisches Gewicht. Er hat es verloren — durch einen historischen Prozeß, den niemand umkehrt. Höre den abgestorbenen Akkord, — selbst in seiner Versprengtheit steht er für einen technischen Gesamtstand, der dem wirklichen widerspricht. Jeder Klang trägt das Ganze, auch die ganze Geschichte in sich. Aber darum ist die Erkenntnis des Ohrs, was richtig und falsch ist, unweigerlich und direkt an ihn, diesen einen, an sich nicht falschen Akkord gebunden, ganz ohne abstrakte Beziehung aufs technische Gesamtniveau. Wir haben da einen Anspruch von Richtigkeit, den das Gebild an den Künstler stellt, — ein wenig streng, was meinst du? Erschöpft sich nicht nächstens sein Tun in der Vollstreckung des in den objektiven Bedingungen der Produktion Enthaltenen? In jedem Takt, den einer zu denken wagt, präsentiert der Stand der Technik sich ihm als Problem. Jeden Augenblick verlangt die Technik als ganze von ihm, daß er ihr gerecht werde und die allein richtige Antwort, die sie in jedem Augenblick zuläßt. Es kommt dahin, daß seine Kompositionen nichts mehr als solche Antworten sind, nur noch die Auflösung technischer Vexierbilder. Kunst wird Kritik

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— etwas sehr Ehrenhaftes, wer leugnets! Viel Ungehorsam im strengen Gehorchen, viel Selbständigkeit, viel Mut gehört dazu. Aber die Gefahr des Unschöpferischen, — was meinst du? Ist sie wohl Gefahr noch oder schon fix und fertiges Faktum?«
Er pausierte. Er sah mich mit feuchten, geröteten Augen durch die Brille an, hob mit zarter Bewegung die Hand und strich mit zwei mittleren Fingern sein Haupthaar. Ich sagte:
»Worauf wartet Ihr? Soll ich Eueren Hohn bewundern? Ich habe nie gezweifelt, daß Ihr mir zu sagen wißt, was ich weiß. Euere Art, es vorzubringen, ist recht absichtsvoll. Mit allem wollt Ihr mich bedeuten, wie ich niemands sonsten zu meinem Fürnehmen und Werk könnte brauchen und haben denn den Teufel. Dabei könnt Ihr die theoretische Möglichkeit spontaner Harmonie nicht ausschließen zwischen den eigenen Bedürfnissen und dem Augenblick, der >Richtigkeit<, — die Möglichkeit eines natürlichen Einklangs, aus dem einer zwang- und gedankenlos schüfe.«
Er (lachend): »Eine sehr theoretische Möglichkeit, in der Tat! Mein Lieber, die Situation ist zu kritisch, als daß die Kritiklosigkeit ihr gewachsen wäre! Übrigens weise ich den Vorwurf einer tendenziösen Beleuchtung der Dinge zurück. Deinetwegen brauchen wir uns nicht mehr in dialektische Unkosten zu stürzen. Was ich nicht leugne, ist eine gewisse Genugtuung, die die Lage des >Werkes< ganz allgemein mir gewährt. Ich bin gegen die Werke im großen ganzen. Wie sollte ich nicht einiges Vergnügen finden an der Unpäßlichkeit, von der die Idee des musikalischen Werkes befallen ist! Schiebe sie nicht auf gesellschaftliche Zustände! Ich weiß, du neigst dazu und pflegst zu sagen, daß diese Zustände nichts vorgeben, was verbindlich und bestätigt genug wäre, die Harmonie des selbstgenügsamen Werks zu gewährleisten. Wahr, aber nebensächlich. Die prohibitiven Schwierigkeiten des Werks liegen tief in ihm selbst. Die historische Bewegung des musikalischen Materials hat sich gegen das geschlossene Werk gekehrt. Es schrumpft in der Zeit, es verschmäht die Ausdehnung in der Zeit, die der Raum des musikalischen Werkes ist, und läßt ihn leer stehen. Nicht

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aus Ohnmacht, nicht aus Unfähigkeit zur Formbildung. Sondern ein unerbittlicher Imperativ der Dichtigkeit, der das Überflüssige verpönt, die Phrase negiert, das Ornament zerschlägt, richtet sich gegen die zeitliche Ausbreitung, die Lebensform des Werkes. Werk, Zeit und Schein, sie sind eins, zusammen verfallen sie der Kritik. Sie erträgt Schein und Spiel nicht mehr, die Fiktion, die Selbstherrlichkeit der Form, die die Leidenschaften, das Menschenleid zensuriert, in Rollen aufteilt, in Bilder überträgt. Zulässig ist allein noch der nicht fiktive, der nicht verspielte, der unverstellte und unverklärte Ausdruck des Leides in seinem realen Augenblick. Seine Ohnmacht und Not sind so angewachsen, daß kein scheinhaftes Spiel damit mehr erlaubt ist.«
Ich (sehr ironisch): »Rührend, rührend. Der Teufel wird pathetisch. Der leidige Teufel moralisiert. Das Menschenleid liegt ihm am Herzen. Zu seinen Ehren hofiert er in die Kunst hinein. Ihr hättet besser getan, Euerer Antipathie gegen die Werke nicht zu gedenken, wenn Ihr nicht wolltet, daß ich in Eueren Deduktionen eitel Teufelsfürze zu Schimpf und Schaden des Werks erkenne.«
Er (ohne Empfindlichkeit): »So weit, so gut. Du findest im Grunde wohl aber mit mir, daß es weder sentimental noch boshaft zu nennen ist, wenn man die Tatsachen der Weltstunde anerkennt. Gewisse Dinge sind nicht mehr möglich. Der Schein der Gefühle als kompositorisches Kunstwerk, der selbstgenügsame Schein der Musik selbst ist unmöglich geworden und nicht zu halten, — als welcher seit alters darin besteht, daß vorgegebene und formelhaft niedergeschlagene Elemente so eingesetzt werden, als ob sie die unverbrüchliche Notwendigkeit dieses einen Falles wären. Oder laß es umgekehrt sein: der Sonderfall gibt sich die Miene, als wäre er mit der vorgegebenen, vertrauten Formel identisch. Seit vierhundert Jahren hat alle große Musik ihr Genügen darin gefunden, diese Einheit als bruchlos geleistete vorzutäuschen, — sie hat sich darin gefallen, die konventionelle Allgemeingesetzlichkeit, der sie untersteht, mit ihren eigensten Anliegen zu verwechseln. Freund, es geht nicht mehr. Die Kritik

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des Ornaments, der Konvention und der abstrakten Allgemeinheit ist ein und dasselbe. Was der Kritik verfällt, ist der Scheincharakter des bürgerlichen Kunstwerks, an dem die Musik teilhat, obgleich sie kein Bild macht. Gewiß, sie hat vor anderen Künsten den Vorzug, kein Bild zu machen, aber durch die unermüdliche Aussöhnung ihrer spezifischen Anliegen mit der Herrschaft der Konventionen hat sie an dem höheren Schwindel gleichwohl nach Kräften teilgenommen. Die Subsumtion des Ausdrucks unters versöhnlich Allgemeine ist das innerste Prinzip des musikalischen Scheins. Es ist aus damit. Der Anspruch, das Allgemeine als im Besonderen harmonisch enthalten zu denken, dementiert sich selbst. Es ist geschehen um die vorweg und verpflichtend -geltenden Konventionen, die die Freiheit des Spiels gewährleisteten.«
Ich: »Man könnte das wissen und sie jenseits aller Kritik wieder anerkennen. Man könnte das Spiel potenzieren, indem man mit Formen spielte, aus denen, wie man weiß, das Leben geschwunden ist.«
Er: »Ich weiß, ich weiß. Die Parodie. Sie könnte lustig sein, wenn sie nicht gar so trübselig wäre in ihrem aristokratischen Nihilismus. Würdest du dir viel Glück und Größe von solchen Schlichen versprechen?«
Ich (erwidere ihm zornig): »Nein.«
Er: »Kurz und unwirsch! Warum aber unwirsch? Weil ich dir freundschaftliche Gewissensfragen stelle, unter vier Augen? Weil ich dir dein verzweifelt Herz gezeigt und dir mit der Einsicht des Kenners die geradezu unüberwindlichen Schwierigkeiten heutigen Komponierens vor Augen rücke? Magst mich als Kenner nur immerhin ästimieren. Es sollte der Teufel wohl was von Musik verstehen. Wenn ich nicht irre, lasest du da vorhin in dem Buch des in die Ästhetik verliebten Christen? Der wußte Bescheid und verstand sich auf mein besondres Verhältnis zu dieser schönen Kunst, — der allerchristlichsten Kunst, wie er findet, — mit negativem Vorzeichen natürlich, vom Christentum zwar eingesetzt und entwickelt, aber verneint und aus-

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geschlossen als dämonisches Bereich, — und da hast du es denn. Eine hochtheologische Angelegenheit, die Musik — wie die Sünde es ist, wie ich es bin. Die Leidenschaft des Christen da für die Musik ist wahre Passion, als welche nämlich Erkenntnis und Verfallenheit ist in einem. Wahre Leidenschaft gibt es nur im Ambiguosen und als Ironie. Die höchste Passion gilt dem absolut Verdächtigen . .. Nein, musikalisch bin ich schon, laß das gut sein. Und da hab ich dir nun den armen Judas gesungen von wegen der Schwierigkeiten, in die, wie alles heut, die Musik geraten. Hätt ich es nicht tun sollen? Aber ich tat es doch nur, um dir anzuzeigen, daß du sie durchbrechen, daß du dich zur schwindlichten Bewunderung deiner selbst über sie erheben und Dinge machen sollst, daß dich das heilige Grauen davor ankommen soll.«
Ich: »Auch eine Verkündigung. Ich werde osmotische Gewächse ziehen.«
Er: »Ist doch gehupft wie gesprungen! Eisblumen oder solche aus Stärke, Zucker und Zellulose, — beides ist Natur, und fragt sich noch, wofür Natur am meisten zu beloben. Deine Neigung, Freund, dem Objektiven, der sogenannten Wahrheit nachzufragen, das Subjektive, das reine Erlebnis als unwert zu verdächtigen, ist wahrhaft spießbürgerlich und überwindenswert. Du siehst mich, also bin ich dir. Lohnt es zu fragen, ob ich wirklich bin? Ist wirklich nicht, was wirkt, und Wahrheit nicht Erlebnis und Gefühl? Was dich erhöht, was dein Gefühl von Kraft und Macht und Herrschaft vermehrt, zum Teufel, das ist die Wahrheit, — und wäre es unterm tugendlichen Winkel gesehen zehnmal eine Lüge. Das will ich meinen, daß eine Unwahrheit von kraftsteigernder Beschaffenheit es aufnimmt mit jeder unersprießlich tugendhaften Wahrheit. Und ich wills meinen, daß schöpferische, Genie spendende Krankheit, Krankheit, die hoch zu Roß die Hindernisse nimmt, in kühnem Rausch von Fels zu Felsen sprengt, tausendmal dem Leben lieber ist als die zu Fuße latschende Gesundheit. Nie hab ich etwas Dümmeres gehört, als daß von Krankem nur Krankes kommen könne. Das Leben ist nicht heikel, und von Moral weiß es einen Dreck.

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Es ergreift das kühne Krankheitserzeugnis, verspeist, verdaut es, und wie es sich seiner nur annimmt, so ists Gesundheit. Vor dem Faktum der Lebenswirksamkeit, mein Guter, wird jeder Unterscheidt von Krankheit und Gesundheit zunichte. Eine ganze Horde und Generation empfänglich-kerngesunder Buben stürzt sich auf das Werk des kranken Genius, des von Krankheit Genialisierten, bewundert, preist, erhebt es, führt es mit sich fort, wandelt es unter sich ab, vermacht es der Kultur, die nicht von hausbackenem Brote allein lebt, sondern nicht weniger von Gaben und Giften aus der Apotheke >Zu den Seligen Boten<. Das sagt dir der unverballhornte Sammael. Er garantiert dir nicht nur, daß gegen das Ende deiner StundglasJahre das Gefühl deiner Macht und Herrlichkeit die Schmerzen der kleinen Seejungfrau mehr und mehr überwiegen und schließlich zu triumphalstem Wohlsein, zum enthusiastischen Gesundheitsaffekt, zum Wandel eines Gottes sich steigern soll, — das ist nur die subjektive Seite der Sache, ich weiß, es wäre dir nicht genug damit, es würde dir unsolid scheinen. So wisse: Wir stehen dir für die Lebenswirksamkeit dessen, was du mit unserer Hilfe vollbringen wirst. Du wirst führen, du wirst der Zukunft den Marsch schlagen, auf deinen Namen werden die Buben schwören, die dank deiner Tollheit es nicht mehr nötig haben, toll zu sein. Von deiner Tollheit werden sie in Gesundheit zehren, und in ihnen wirst du gesund sein. Verstehst du? Nicht genug, daß du die lähmenden Schwierigkeiten der Zeit durchbrechen wirst, — die Zeit selber, die Kulturepoche, will sagen, die Epoche der Kultur und ihres Kultus wirst du durchbrechen und dich der Barbarei erdreisten, die's zweimal ist, weil sie nach der Humanität, nach der erdenklichsten Wurzelbehandlung und bürgerlichenVerfeinerung kommt. Glaube mir! sogar auf Theologie versteht sie sich besser als eine vom Kultus abgefallene Kultur, die auch im Religiösen nur eben Kultur sah, nur Humanität, nicht den Exzeß, das Paradox, die mystische Leidenschaft, die völlig unbürgerliche Aventüre. Ich hoffe doch, du wunderst dich nicht, daß dir Sankt Veiten vom Religiösen spricht? Potz Stern! Wer anders, möcht ich wissen,

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soll dir wohl heute davon sprechen? Der liberale Theolog doch nicht? Bin ich doch nachgerade der einzige, ders konserviert! Wem willst du theologische Existenz zuerkennen, wenn nicht mir? Und wer will eine theologische Existenz führen ohne mich? Das Religiöse ist so gewiß mein Fach, wie es kein Fach der bürgerlichen Kultur ist. Seit die Kultur vom Kultus abgefallen ist und aus sich selber einen gemacht hat, ist sie denn auch nichts anderes mehr als ein Abfall, und alle Welt ist ihrer nach bloßen fünfhundert Jahren so müd und satt, als wenn sie's, salva venia, mit eisernen Kochkesseln gefressen hätt...«
Es war hier, es war schon etwas früher, schon bei dem Speiwerk, das er über sich selbst als den Wahrer des religiösen Lebens, über des Teufels theologische Existenz in dozierend fließender Rede geäußert hatte, daß ich gewahr ward: es sah wieder anders aus mit dem Kerl vor mir im Sofa, er schien der bebrillte Musikintelligenzler nicht mehr, als der er eine Weile zu mir gesprochen, saß auch nicht mehr recht in seiner Ecke, sondern ritt legerement im Halbsitz auf der gerundeten Seitenlehne des Sofas, die Fingerspitzen im Schöße durcheinander gesteckt und beide Daumen starr davon wegstreckend. Ein geteiltes Bärtchen am Kinn ging ihm beim Reden auf und ab, und überm offenen Munde, drin kleine scharfe Zähne sich sehen ließen, stand ihm das spitzgedrehte Schnurrbärtchen strack dahin.
Mußt ich doch lachen in meiner Frostvermummung ob seiner Metamorphose ins Altvertraute.
»Ganz ergebener Diener!« sag ich. »So sollt ich Euch kennen, und recht artig find ichs von Euch, daß Ihr mir hier im Saal ein Privatissimum lest. Wie's jetzo die Mimikry mit Euch gemacht hat, hoff ich Euch bereit zu finden, meine Wißbegier zu kühlen und mir fein Euer freies Vorhandensein zu beweisen, indem Ihr mir nicht nur von Dingen lest, die ich schon aus mir selber weiß, sondern von solchen einmal, die ich erst wissen möcht. Ihr habt mir viel von der Stundglas-Zeit gelesen, die Ihr verhandelt, auch von den Schmerzensanzahlungen, die zwischenein fürs hohe Leben zu leisten, aber nicht vom Ende, von dem, was nachher kommt, der ewigen Tilgung.

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Danach geht meine Neugier, und Ihr habt, solange Ihr da hockt, der Frage nicht Raum geben mit Eurem Gerede. Soll ich beim Geschäft den Preis nicht kennen nach Kreuz und Münz? Steht Rede! Wie lebt sichs in Klepperlins Haus? Was wartet derer, die Euch zu Huld genommen, in der Spelunke?«
Er (lacht hoch und gicksend): »Von der pernicies, der confutatio willst du Wissenschaft? Nenn ich Fürwitz, nenn ich gelehrten Jugendmut! Hat ja so viel Zeit damit, unabsehbar, und kommt erst zuvor so viel Aufregendes, daß du andres zu tun haben wirst, als ans Ende zu denken, oder auch nur auf den Augenblick achtzuhaben, wo es Zeit werden könnte, ans Ende zu denken. Will dir aber die Auskunft nicht weigern und brauche nicht schön zu färben, denn wie kann dich ernstlich kümmern, was noch so lange hin? Nur, nicht leicht ist es, eigentlich davon zu reden, — das will sagen: eigentlich kann man überhaupt und ganz und gar nicht davon reden, weil sich das Eigentliche mit den Worten nicht deckt; man mag viel Worte brauchen und machen, aber allesamt sind sie nur stellvertretend, stehen für Namen, die es nicht gibt, können nicht den Anspruch erheben, das zu bezeichnen, was nimmermehr zu bezeichnen und in Worten zu denunzieren ist. Das ist die geheime Lust und Sicherheit der Höllen, daß sie nicht denunzierbar, daß sie vor der Sprache geborgen ist, daß sie eben nur ist, aber nicht in die Zeitung kommen, nicht publik werden, durch kein Wort zur kritisierenden Kenntnis gebracht werden kann, wofür eben die Wörter >unterirdisch<, >Keller<, >dicke Mauern<, >Lautlosigkeit<, >Vergessenheit<, >Rettungslosigkeit<, die schwachen Symbole sind. Mit symbolis, mein Guter, muß man sich durchaus begnügen, wenn man von der Höllen spricht, denn dort hört alles auf, — nicht nur das anzeigende Wort, sondern überhaupt alles, — dies ist sogar das hauptsächliche Charakteristikum, und das, was im allgemeinsten darüber auszusagen, zugleich das, was der Neukömmling dort zuerst erfährt, und was er zunächst mit seinen sozusagen gesunden Sinnen gar nicht fassen kann und nicht verstehen will, weil die Vernunft oder welche

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Beschränktheit des Verstehens nun immer ihn darin hindert, kurz, weil es unglaublich ist, unglaublich zum Kreideweißwerden, unglaublich, obgleich es einem gleich zur Begrüßung in bündig nachdrücklichster Form eröffnet wird, daß >hier alles aufhört<, jedes Erbarmen,- jede Gnade, jede Schonung, jede letzte Spur von Rücksicht auf den beschwörend ungläubigen Einwand >Das könnt und könnt ihr doch mit einer Seele nicht tun&l;: Es wird getan, es geschieht, und zwar ohne vom Worte zur Rechenschaft gezogen zu werden, im schalldichten Keller, tief unter Gottes Gehör, und zwar in Ewigkeit. Nein, es ist schlecht davon reden, es liegt abseits und außerhalb der Sprache, diese hat nichts damit zu tun, hat kein Verhältnis dazu, weshalb sie auch nie recht weiß, welche Zeitform sie darauf anwenden soll und sich aus Not mit dem Futurum behilft, wie es ja heißt: >Da wird sein Heulen und Zähneklappernd Gut, das sind ein paar Wortlaute, aus ziemlich extremer Sphäre der Sprache gewählt, aber eben doch nur schwache Symbole und ohne rechte Beziehung zu dem, was da >sein wird<, — rechenschaftslos, in Vergessenheit, zwischen dicken Mauern. Richtig ist, daß es in der Schalldichtigkeit recht laut, maßlos und bei weitem das Ohr überfüllend laut sein wird von Gilfen und Girren, Heulen, Stöhnen, Brüllen, Gurgeln, Kreischen, Zetern, Griesgramen, Betteln und Folterjubel, so daß keiner sein eigenes Singen vernehmen wird, weils in dem allgemeinen erstickt, dem dichten, dicken Höllengejauchz und Schandgetriller, entlockt von der ewigen Zufügung des Unglaublichen und Unverantwortlichen. Nicht zu vergessen das ungeheuere Ächzen der Wollust, das sich hineinmischt, denn eine unendliche Qual, der kein Versagen des Erleidens, kein Kollaps, keine Ohnmacht als Grenze gesetzt ist, artet statt dessen in Schandvergnügen aus, weshalb solche, die einige intuitive Kunde haben, ja auch von der >Wollust der Hölle< sprechen. Damit aber hängt das Element des Hohnes und der extremen Schmach zusammen, das sich mit der Marter verbindet; denn diese Höllenwonne kommt einer grunderbärmlichen Verhöhnung des maßlosen Erleidens gleich und ist von schnödem Fingergezeig und wieherndem

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Gelächter begleitet: daher die Lehre, daß die Verdammten zur Qual auch noch den Spott und die Schande haben, ja, daß die Hölle als eine ungeheuerliche Verbindung von völlig unerträglichem, dennoch aber ewig auszustehendem Leiden — und Verspottung zu definieren ist. Da werden sie ihre Zungen fressen für große Schmerzen, bilden darum aber keine Gemeinschaft, sondern sind untereinander voller Hohn und Verachtung und rufen einander beim Trillern und Ächzen die schmutzigsten Schimpfworte zu, wobei die Feinsten und Stolzesten, die nie ein gemeines Wort über ihre Lippen ließen, gezwungen sind, die allerschmutzigsten zu gebrauchen. Ein Teil ihrer Qual und Schandlust besteht darin, über die äußerst schmutzigsten nachzudenken.«
Ich: »Erlaubt, dies ist das erste Wort, das Ihr mir über die Art der Leiden sagt, die die Verdammten dort zu erdulden haben. Bemerkt gefälligst, daß Ihr mir eigentlich nur über die Effekte der Höllen gelesen habt, nicht aber über das, was nun der Sache nach und in der Tat die Verdammten dort zu erwarten haben.«
Er: »Deine Neugier ist knabenhaft und indiskret. Ich stelle das in den Vordergrund, bin aber recht wohl dessen gewahr, mein Guter, was sich dahinter verbirgt. Du versuchst, mich auszufragen, um dir bange machen zu lassen, bange vor der Hölle. Denn der Gedanke an Umkehr und Rettung, an dein sogenanntes Seelenheil, an Rückzug von der Promission lauert bei dir im Hintergrunde, und du trachtest darnach, dir die attritio cordis, die Herzensangst vor dem Dortigen zuzuziehen, von der du wohl gehört haben magst, daß durch sie der Mensch die sogenannte Seligkeit erlangen könne. Laß dir sagen, daß das eine völlig veraltete Theologie ist. Die Attritionslehre ist wissenschaftlich überholt. Als notwendig erwiesen ist die contritio, die eigentliche und wahre protestantische Zerknirschung über die Sünde, die nicht bloß Angstbuße nach der Kirchenordnung, sondern innere, religiöse Umkehr bedeutet, — und ob du deren fähig bist, das frage dich selbst, dein Stolz wird die Antwort nicht schuldig bleiben. Je länger, je weniger wirst du fähig

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und willens sein, dich zur contritio herbeizulassen, sintemal das extravagante Dasein, das du führen wirst, eine große Verwöhnung ist, aus der man nicht mir nichts, dir nichts ins Mittelmäßig-Heilsame zurückfindet. Darum, zu deiner Beruhigung sei es gesagt, wird dir denn auch die Hölle nichts wesentlich Neues, — nur das mehr oder weniger Gewohnte, und mit Stolz Gewohnte, zu bieten haben. Sie ist im Grunde nur eine Fortsetzung des extravaganten Daseins. Um es in zwei Worten zu sagen: ihr Wesen oder, wenn du willst, ihre Pointe ist, daß sie ihren Insassen nur die Wahl läßt zwischen extremer Kälte und einer Glut, die den Granit zum Schmelzen bringen könnte, — zwischen diesen beiden Zuständen flüchten sie brüllend hin und her, denn in dem einen erscheint der andre immer als himmlisches Labsal, ist aber sofort und in des Wortes höllischster Bedeutung unerträglich. Das Extreme daran muß dir gefallen.«
Ich: »Es gefällt mir. Unterdessen möchte ich Euch davor warnen, Euch meiner allzu sicher zu fühlen. Eine gewisse Seichtheit Eurer Theologie könnte Euch dazu verführen. Ihr verlaßt Euch darauf, daß der Stolz mich an der zur Rettung notwendigen Zerknirschung hindern wird, und stellt dabei nicht in Rechnung, daß es eine stolze Zerknirschung gibt. Die Zerknirschung Kains, der der festen Meinung war, seine Sünde sei größer, als daß sie ihm je verziehen werden möchte. Die contritio ohne jede Hoffnung und als völliger Unglaube an die Möglichkeit der Gnade und Verzeihung, als die felsenfeste Überzeugung des Sünders, er habe es zu grob gemacht, und selbst die unendliche Güte reiche nicht aus, seine Sünde zu verzeihen, — erst das ist die wahre Zerknirschung, und ich mache Euch darauf aufmerksam, daß sie der Erlösung am allernächsten, für die Güte am allerunwiderstehlichsten ist. Ihr werdet zugeben, daß der alltäglich-mäßige Sünder der Gnade nur mäßig interessant sein kann. In seinem Fall hat der Gnadenakt wenig Impetus, er ist nur eine matte Betätigung. Die Mittelmäßigkeit führt überhaupt kein theologisches Leben^Eine Sündhaftigkeit, so heillos, daß sie ihren Mann von Grund aus am Heile verzweifeln läßt, ist der wahrhaft theologische Weg zum Heil.«

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Er: »Schlaukopf! Und woher will deinesgleichen die Einfalt nehmen, die naive Rückhaltlosigkeit der Verzweiflung, die die Voraussetzung wäre für diesen heillosen Weg zum Heil? Es ist dir nicht klar, daß die bewußte Spekulation auf den Reiz, den große Schuld auf die Güte ausübt, dieser den Gnadenakt nun schon aufs äußerste unmöglich macht?«
Ich: »Und doch kommt es erst durch dies Non plus ultra zur höchsten Steigerung der dramatisch-theologischen Existenz, das heißt: zur verworfensten Schuld und dadurch zur letzten und unwiderstehlichsten Herausforderung an die Unendlichkeit der Güte.«
Er: »Nicht schlecht. Wahrlich ingeniös. Und nun will ich dir sagen, daß genau Köpfe von deiner Art die Population der Hölle bilden. Es ist nicht so leicht, in die Hölle zu kommen; wir litten längst Raummangel, wenn Hinz und Kunz hineinkämen. Aber dein theologischer Typ, so ein abgefeimter Erzvogel, der auf die Spekulation spekuliert, weil er das Spekulieren schon von Vaters Seite im Blut hat, — das müßte mit Kräutern zugehen, wenn der nicht des Teufels war.«
Wie er das sagt, und schon etwas vorher, wandelt der Kerl sich wieder, wie Wolken tun, und weiß es nach seiner Angabe gar nicht: sitzt nicht mehr auf der Armrolle des Kanapees vor mir im Saal, sondern wieder im Eck als das Mannsluder, der käsige Ludewig in der Kappe, mit roten Augen. Und sagt mit seiner langsamen, nasigen Schauspielerstimme:
»Daß wir zum Ende und zum Beschluß kommen, wird dir genehm sein. Habe dir viel Zeit und Weile gewidmet, das Ding mit dir durchzureden, — verhoffentlicht erkennst du's an. Bist aber auch ein attraktiver Fall, das bekenne ich frei. Von früh an hatten wir ein Auge auf dich, auf deinen geschwinden, hoffärtigen Kopf, dein trefflich ingenium und memoriam. Da haben sie dich die Gotteswissenschaft studieren lassen, wie's dein Dünkel sich ausgeheckt, aber du wolltest dich bald keinen Theologum mehr nennen, sondern legtest die Heilige Geschrift unter die Bank und hieltest es ganz hinfort mit den figuris, characteribus und incantationibus der Musik, das gefiel uns nicht wenig.

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Denn deine Hoffart verlangte es nach dem Elementarischen, und du gedachtest es zu gewinnen in der dir gemäßesten Form, dort, wo's als algebraischer Zauber mit stimmiger Klugheit und Berechnung vermählt und doch zugleich gegen Vernunft und Nüchternheit allzeit kühnlich gerichtet ist. Wußten wir denn aber nicht, daß du zu gescheit und kalt und keusch seist fürs Element, und wußten wir nicht, daß du dich darob ärgertest und dich erbärmlich ennuyiertest mit deiner schamhaften Gescheitheit? So richteten wirs dir mit Fleiß, daß du uns in die Arme liefst, will sagen: meiner Kleinen, der Esmeralda, und daß du dirs holtest, die Illumination, das Aphrodisiacum des Hirns, nach dem es dich mit Leib und Seel und Geist so gar verzweifelt verlangte. Kurzum, zwischen uns brauchts keinen vierigen Wegscheid im Spesser Wald und keine Cirkel. Wir sind im Vertrage und im Geschäft, — mit deinem Blut hast du's bezeugt und dich gegen uns versprochen und bist auf uns getauft — dieser mein Besuch gilt nur der Konfirmation. Zeit hast du von uns genommen, geniale Zeit, hochtragende Zeit, volle vierundzwanzig Jahre ab dato recessi, die setzen wir dir zum Ziel. Sind die herum und vorübergelaufen, was nicht abzusehen, und ist so eine Zeit auch eine Ewigkeit, — so sollst du geholt sein. Herwiderumb wollen wir dir unterweilen in allem untertänig und gehorsam sein, und dir soll die Hölle frommen, wenn du nur absagst allen, die da leben, allem himmlischen Heer und allen Menschen, denn das muß sein.«
Ich (äußerst kalt angeweht): »Wie? Das ist neu. Was will die Klausel sagen?«
Er: »Absage will sie sagen. Was sonst? Denkst du, Eifersucht ist nur in den Höhen zu Hause und nicht auch in den Tiefen? Uns bist du, feine, erschaffene Creatur, versprochen und verlobt. Du darfst nicht lieben.«
Ich (muß wahrlich lachen): »Nicht lieben! Armer Teufel! Willst du dem Ruf deiner Dummheit Ehre machen und dir selbst ein Schellen anhängen als einer Katzen, daß du Geschäft und Versprechen gründen willst auf einen so nachgiebigen, so verfänglichen Begriff wie — Liebe? Will der Teufel die Lust

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prohibieren? Wo nicht, so muß er die Sympathie in Kauf nehmen und sogar die Caritas, sonst ist er betrogen, wie es im Buche steht. Was ich mir zugezogen, und weswegen du willst, ich sei dir versprochen, — was ist denn die Quelle davon, sag, als die Liebe, wenn auch die von dir mit Zulassung Gottes vergiftete? Das Bündnis, worin wir nach deiner Behauptung stehen, hat ja selbst mit Liebe zu tun, du Dummkopf. Willst, daß ichs wollte und in den Wald ging, an den vierigen Wegscheid, um Werkes willen. Aber man sagt ja, Werk habe selbst mit Liebe zu tun.«
Er (durch die Nase lachend): »Do, re, mi! Sei versichert, daß deine psychologischen Finten bei mir nicht besser verfangen als die theologischen! Psychologie — daß Gott erbarm, hältst du's noch mit der? Das ist ja schlechtes, bürgerliches neunzehntes Jahrhundert! Die Epoche ist ihrer jämmerlich satt, bald wird sie das rote Tuch für sie sein, und der wird einfach eins über den Schädel bekommen, der das Leben stört durch Psychologie. Wir leben in Zeiten hinein, mein Lieber, die nicht chikaniert sein wollen von Psychologie . .. Dies beiseite. Mein Bedingnis war klar und rechtschaffen, bestimmt vom legitimen Eifer der Hölle. Liebe ist dir verboten, insofern sie wärmt. Dein Leben soll kalt sein — darum darfst du keinen Menschen lieben. Was denkst du dir denn? Die Illumination läßt deine Geisteskräfte bis zum Letzten intakt, ja steigert sie zeitweise bis zur hellichten Verzückung, — woran soll es am Ende denn ausgehen, als an der lieben Seele und am werten Gefühlsleben? Eine Gesamterkältung deines Lebens und deines Verhältnisses zu den Menschen liegt in der Natur der Dinge, — vielmehr sie liegt bereits in deiner Natur, wir auferlegen dir beileibe nichts Neues, die Kleinen machen nichts Neues und Fremdes aus dir, sie verstärken und übertreiben nur sinnreich alles, was du bist. Ist etwa die Kälte bei dir nicht vorgebildet, so gut wie das väterliche Hauptwee, aus dem die Schmerzen der kleinen Seejungfrau werden sollen? Kalt wollen wir dich, daß kaum die Flammen der Produktion heiß genug sein sollen, dich darin zu wärmen. In sie wirst du flüchten aus deiner Lebenskälte . . .«

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Ich: »Und aus dem Brande zurück ins Eis. Es ist augenscheinlich die Hölle im voraus, die Ihr mir schon auf Erden bereitet.«
Er: »Es ist das extravagante Dasein, das einzige, das einem stolzen Sinn genügt. Dein Hochmut wird es wahrlich nie mit einem lauen vertauschen wollen. Schlägst du mirs dar? Eine werkgefüllte Ewigkeit von Menschenleben lang sollst du's genießen. Lief das Stundglas aus, will ich gut Macht haben, mit der feinen, geschaffenen Creatur nach meiner Art und Weise und nach meinem Gefallen zu schalten und walten, zu führen und zu regieren, — mit allem, es sei Leib, Seel, Fleisch, Blut und Gut in alle Ewigkeit. . .«
Da war er wieder, der unbändige Ekel, der mich schon einmal vorher gepackt, und der mich schüttelte, zusammen mit der gletscherhaft verstärkten Welle von Frost, die wieder von dem knapp behosten Mannsluder auf mich eindrang. Ich vergaß meinselbst vor wildem Degoüt, es war wie Ohnmacht. Und dann hört ich Schildknapps Stimme, der in der Sofaecke saß, gemächlich zu mir sagen:
»Natürlich haben Sie nichts versäumt. Giornali und zwei Billards, eine Runde Marsala, und die Biedermänner haben das governo durch die Hechel gezogen.«
Saß ich doch im Sommeranzug bei meiner Lampe, auf den Knien das Buch des Christen! Ist nicht anders: Muß in meiner Empörung das Luder verjagt und meine Hüllen ins Nebenzimmer zurückgetragen haben, bevor der Gefährte kam.


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